Die Rede von Weltbank-Präsident Robert S. McNamara in Nairobi vom 24. September 1973


Die Nairobi-Rede des Weltbank-Präsidenten Robert S. McNamara von 1973 signalisierte eine erste Wende der entwicklungspolitischen Ausrichtung der Bretton Woods-Institutionen. Nach einer ersten Phase, in der sie in naiver Modernisierungsbegeisterung vor allem Grossprojekte finanziert hatte, erkannte McNamara, der die Bank von 1968 bis 1981 leitete, Armut und soziale Ungleichheit als entscheidende Hindernisse für die Entwicklung der Dritten Welt.

In seiner berühmten Rede rief Weltbank-Präsident Robert McNamara am 4. September 1973 in Nairobi zur Ausrottung der «absoluten Armut» bis zum Jahr 2000 auf. Mit der Einführung dieses Begriffs und der Anerkennung der Tatsache, dass die ländliche Bevölkerung der armen Länder am dringendsten Hilfe benötigte, setzte McNamara eine bis heute gültige Wegmarke im entwicklungspolitischen Diskurs. Anklänge an die Erschütterung, die am Ende der fünfziger Jahre den jungen Senator John F. Kennedy erfüllt hatte, sind nicht zu überhören: «Absolute Armut ... ist durch einen Zustand solch entwürdigender Lebensbedingungen wie Krankheit, Analphabetentum, Unterernährung und Verwahrlosung charakterisiert, dass die Opfer dieser Armut nicht einmal die grundlegendsten menschlichen Existenzbedürfnisse befriedigen können. ... Ein Drittel bis zur Hälfte der zwei Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern hungern oder leiden an Unterernährung; 20 bis 25 Prozent der Kinder dort sterben vor dem fünften Geburtstag; die nicht sterben, sind zu einem armseligen Dasein verdammt, weil als Folge von Unterernährung ihre Gehirne geschädigt, ihre Körper verkrüppelt und ihre Lebenskraft erschöpft wurden; die Lebenserwartung beträgt 20 Jahre weniger als in den wohlhabenden Ländern. Mit anderen Worten: Menschen in den Entwicklungsländern werden 30 Prozent der Lebensjahre verweigert.» (Zitat-Auswahl aus Nohlen, D. (Hg.): Lexikon Dritte Welt. Reinbek 2002, Rowohlt.)

Das Grundsatz-Referat, das zu einer Neuorientierung der Weltbank-Politik führte, steht hier (im englischen Original) als PDF zur Verfügung.


Die «Erklärung von Cocoyoc» vom 23. Oktober 1974


Im Oktober 1974 diskutierte eine von der Uno einberufene Expertenrunde in Mexiko eine umfassende Analyse des Phänomens der Unterentwicklung und verabschiedete unter dem Vorsitz der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin und Publizistin Barbara Ward die «Erklärung von Cocoyoc», die in der Literatur als wegweisendes Dokument der sogenannten Grundbedürfnis-Strategie berühmt ist.


Das sorgfältig und vorsichtig redigierte Papier, das inzwischen leider etwas in Vergessenheit geriet, ging weit darüber hinaus: Zum ersten Mal wurde der Zusammenhang zwischen Entwicklung und Umweltschutz dargestellt und gezeigt, dass sich die Verhältnisse im armen Süden nur dauerhaft verbessern liessen, wenn der reiche Norden weniger Ressourcen verbrauchte und seine Verschwendungswirtschaft aufgab. Barbara Ward, die den Entwurf der Erklärung verfasst hatte, machte unmissverständlich deutlich, dass die während dreissig Jahren betriebenen Bemühungen, die armen Länder auf das Niveau des reichen Nordens zu hieven, nicht nur gescheitert waren, sondern auch immense Schäden angerichtet hatten. Sie verlangte energische Massnahmen, um eine bessere und gerechtere Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel zu erreichen. Klarsichtig warnte sie vor allem die Amerikaner vor ihrer gesundheitsschädlichen Fress- Sucht: «In Nordamerika hat der Getreide-Verbrauch, zumeist in Form von Fleischprodukten, von 1965 bis 1974 pro Kopf um 350 Pfund auf 1900 Pfund zugenommen. Diese 350 Pfund entsprechen etwa dem, was ein Inder jährlich zu sich nimmt. Dabei ist nicht anzunehmen, dass die Nordamerikaner 1965 hungerten.»

Der vollständige Text der «Cocoyoc-Erklärung», mit der die Grundbedürfnis-Strategie in die Entwicklungspolitik eingeführt wurde, steht hier (im englischen Original) als PDF zur Verfügung.