Alvar Aalto: Natürliche Formen

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Unter dem Titel «Second Nature» präsentiert das Vitra Design Museum in Weil am Rhein Alvar Aalto (1898–1976), einen der wichtigsten Architekten und Designer der Moderne, als Gestalter komplexer, auf die Natur und ihre Formen und Materialien Bezug nehmender Räume. Kuratiert von Jochen Eisenbrand und gemeinsam mit dem Alvar-Aalto-Museum in Jyväskylä entwickelt, zeigt die sorgfältig konzipierte Ausstellung den weit über seine finnische Heimat hinaus einflussreichen Grossmeister der «organischen Architektur» in vier, lose chronologisch geordneten Abteilungen. Die erste zeigt Aalto unter dem Titel «Wahlverwandtschaften» am Anfang seiner Karriere als universal interessierten Gestalter, der Sakralbauten,
Mehrzweckgebäude und im karelischen Viipuri (Vyborg. heute Russland) eine Bibliothek entwirft und sich gleichzeitig für bildende Kunst,Theater und Kino interessiert. Er entwirft Bühnenbilder, gründet eine Filmproduktion, und gestaltet selbstverständlich die Einrichtung seiner Bauten selbst. Das erste Gesamtkunstwerk wird das Lungensanatorium in Paimio. Das zweite Kapitel der Schau, «Natur, Kunst, Architektur» überschrieben, ist Aaltos Nähe zur natürlichen Umwelt und seinem dauernden Austausch mit wichtigen Künstlern seiner Zeit gewidmet. Jean Arp und Alexander Calder, Fernand Léger und der Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy übten einen besonders starken Einfluss auf ihn aus, wie anhand ihrer Werke zu sehen ist. Der dritte Schwerpunkt fokussiert unter dem Titel «Die Kunst des Alltags» auf den Designer Aalto, der die Serienproduktion moderner Möbel und Leuchtkörper mit der eigenen Firma «Artek» förderte und ihre Verbreitung zu einer «mundialen Aktivität» erklärte. Im Obergeschoss schliesslich kulminiert die Ausstellung unter dem Titel «Architektur der Synthese». Gezeigt werden Entwürfe und Modelle beispielhafter Bauten, die Aaltos humanistisches Architekturverständnis manifestieren, darunter das Kulturzentrum in Wolfsburg, ein achtstöckiges Wohnaus im Berliner Hansaviertel, Wohnsiedlungen und Kommunalbauten in Finnland, ein Studentenwohnheim auf dem Campus des MIT in Cambridge (USA) und – wie eine Summe seiner Könnerschaft– die Finlandia-Halle in Helsinki. Insgesamt entwarf Alvar Aalto in fünf Jahrzehnten rund 500 Bauten, von denen 200 verwirklicht wurden – vor allem in Finnland, aber auch in 18 weiteren Ländern.

Zur Orientierung in diesem fast unübersehbaren Lebenswerk ist das Katalogbuch sehr hilfreich. Es dokumentiert nicht nur die Exponate und die eigens für die Schau vom Fotokünstlers Armin Linke hergestellten Bildfolgen, sondern enthält eine Fülle weiterer Dokumente und ein gutes Dutzend sachkundiger Essays zu allen Aspekten von Aaltos Wirken. Jochen Eisenbrand, Mateo Kries (Hrsg.): Alvar Aalto – Second Nature. Weil am Rhein 2014 (Vitra Design Museum), 688 Seiten, € 69.90)

Eine ausführliche
Besprechung der Ausstellung und des Katalogs steht hier zur Verfügung.

Surrealismus in Paris

So breit und reichhaltig sind die Surrealisten bisher in der Schweiz nie präsentiert worden, wie jetzt (vom 2. Oktober 2011 bis zum 29. Januar 2012) in der Fondation Beyeler. Kurator Philippe Büttner, der sich mit dieser fulminanten Schau von seiner langjährigen Riehener Wirkungsstätte Richtung Zürcher Kunsthaus verabschiedet, zeigt die ganze Fülle der von André Breton 1924 angestossenen multimedialen Kulturrevolution. Als sich die Vorgänger-Bewegung Dadaismus in ihrem individualistischen Protest erschöpfte, zielten die Neuerer auf die Veränderung der Gesellschaft: Literatur und Bildende Künste sollten mit Hilfe des Unbewussten die Kreativität befreien und ein modernes Lebensgefühl entwickeln. Kurator Büttner legt seiner Ausstellung das Konzept einer Schau zugrunde, die Breton, Eluard und Marcel Duchamp 1938 in der Pariser Galerie des Beaux-Arts veranstaltet hatten. Sie nannten Sie «La Ville surréaliste», weil sie um 13, von verschiedenen Künstlern gestalteten Schaufensterpuppen gruppiert war, denen teils erfundene, teils echte Strassennamen zugeordnet waren. Die Besucher in Riehen werden denselben Strassenschildern begegnen, die je einem der 14 Räume zugeordnet sind. Es ist verdienstvoll, dass sich der Ausstellungsmacher nicht darauf beschränkte, herausragende Werke der bekanntesten Surrealisten darzubieten, sondern sich bemüht, einen Eindruck von der Breite der Bewegung zu vermitteln. Zwischen Gemälden und Skulpturen der «Bande à Breton» – herausragend: «Capricorne» von Max Ernst zum Auftakt im Foyer, «Peinture» von Joan Miró und «Judith» von Francis Picabia – sind zahlreiche Werke von Künstlern zu entdecken, die heute weniger bekannt sind. Das gilt in besonderem Mass für Hans Bellmer, dessen «Poupée» zu Recht als «vielleicht bedeutendstes surrealistisches Objekt» bezeichnet wird. Aber auch für den Basler Kurt Seilgman (1900 - 1962), der 1939 in die USA emigrierte und dort bekannter ist als in seiner Heimat. 1950 malte er ein Fasnachtsbild in surrealistischer Manier. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs ist hier zu finden.