Raphaël Bouvier

Jubiläumsausstellung der Fondation Beyeler

Drei Frauen
Praktisch die ganze Fläche der Fondation Beyeler in Riehen stand dem Kurator Raphaël Bouvier zur Einrichtung der Sammlungspräsentation zum 25-jährigen Jubiläum zur Verfügung. Er nutzte die 20 Räume in grosszügiger, um einen Teil der rund 400 Gemälde und Skulpturen aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert zu inszenieren, über die das meistbesuchte Museum der Schweiz inzwischen verfügt. Zu sehen sind einerseits die prominentesten Künstler und ihre Werke. Ihnen sind ganze Räume gewidmet: Claude Monet, Alberto Giacometti, Henri Matisse, Paul Klee, Juan Miró, Marc Rothko und – als einzige Künstlerin – Marlene Dumas. Mit 30 Bildern und Skulpturen besitzt die Fondation Beyeler eine der weltweit qualitätvollsten Werkgruppen von Pablo Picasso. Kein anderer Künstler ist in der Sammlung mit einer so grossen Zahl von Arbeiten vertreten. Andere Künstlerinnen und Künstler werden im Kontext ihrer Kunstbewegung präsentiert, zum Beispiel der Postimpressionismus, die frühe Abstraktion oder die Pop-Art. Arbeiten der Gegenwartskunst, zum Beispiel von Louise Bourgeois (1911-2020), Tacita Dean (geb. 1965) oder Roni Horn (geb. 1955) sind in Gegenüberstellungen arrangiert. Insgesamt belegt die für die Ausstellung getroffene Auswahl die hohe Qualität der von Ernst und Hildy Beyeler in ihre private Sammlung aufgenommenen Werke. Und sie demonstriert gleichzeitig, wie schwierig es ist, bei der Erweiterung der Sammlung mit zeitgenössischen Werken dieses hohe Niveau sicherzustellen. Einige der neu erworbenen Arbeiten werden in der Jubiläumsausstellung zum ersten Mal überhaupt gezeigt, darunter die 2020 entstandene skulpturale Installation «Poltergeist» der englischen Künstlerin Rachel Whiteread (geb. 1963). Und – Überraschung! – Pierre Bonnards Gemälde «La Source ou Nu dans la baignoire» von 1917, die erste Erwerbung eines Werks der klassischen Moderne seit dem Tod des Stifter-Ehepaars.

Hanson und Kiefer
Zwei Dinge sind uns beim Rundgang durch die sehr sehenswerte Schau aufgefallen. Erstens – augenfällig und irritierend – die Anwesenheit der hyperrealistischen Skulpturengruppen des Amerikaners Duane Hanson (1925-1996). Wurden sie aufgestellt, weil der Kurator der Überzeugungskraft der ausgestellten Werke misstraute? Sicher nicht! Oder hielt er es für nötig, mit Hilfe von Hansons sozialkritisch aufgeladenen Inszenierungen die Feier des inzwischen dem bürgerlichen Kunstkanon zugerechneten Sammlungsbestands ironisch zu brechen? Oder ging es bloss darum – wie es im Pressetext heisst – «erstmals überhaupt eine repräsentative Gruppe von Hanson-Skulpturen im Kontext einer Museumssammlung» zu zeigen? Unbestritten ist, dass die Fremdkörper in einzelnen Fällen eine witzige Ergänzung schaffen – zum Beispiel die Mutter mit dem Buggy inmitten von Giacomettis lebensgrossen Figuren. Hansons Bautrupp auf dem Gerüst vor Anselm Kiefers riesigem Werk «Dein und mein Alter und das Alter der Welt» von 1997 beeinträchtigt unserer Ansicht nach dessen Monumentalität in grotesker Weise. Die zweite Auffälligkeit ist die Hängung einzelner Gemälde. Sie sind so locker platziert, dass ganze Wandteile unbespielt bleiben. Das konzentriert zwar die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf das einzelne Werk. Doch fragt man sich im Wissen um den Reichtum der Sammlung, weshalb da und dort nicht noch Platz für die eine oder andere Preziose gewesen wäre. Ist das Magazin wegen vieler Ausleihungen leer? Oder wurden die nicht berücksichtigten Werke als zu wenig publikumswirksam eingeschätzt?

Cover
Der Fondation Beyeler ist es offensichtlich wichtig, ihre Sammlung mit der Jubiläumsausstellung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dass die Boulevardzeitung «Blick» des kunstsinnigen Verlegers Michael Ringier als «Medienpartner» firmiert, unterstreicht diese Intention ebenso wie das breit angelegte Rahmenprogramm. Die Podcasterin Stefanie Müller-Frank begleitet ab dem 3. November kulturell interessierte Gäste durch die Ausstellung und vermittelt deren Eindrücke unter dem Titel «So gesehen» in Podcasts. Besonders reichhaltig sind die Angebote für Kinder und Jugendliche. Das ganze Begleitprogramm, das natürlich auch kreative Angebote und Führungen für Erwachsene umfasst, ist auf der Website der Fondation Beyeler verfügbar.

Zur Jubiläumsausstellung erschien auch eine Publikation:
Fondation Beyeler, Bouvier, R. (Hrsg.): Fondation Beyeler. 25 Highlights. Riehen/Berlin 2022 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag). 80 Seiten CHF 12.00 in der Ausstellung €18.00 im Buchhandel.

Illustrationen, oben von links: Paul Cézanne: Mme Cézanne à la chaise jaune, 1888-1890, Pablo Picasso: Epoque des Demoiselles d’Avignon, 1907 © Succession Picasso/2022, Pro Litteris, Zürich . Henri Matisse: Nu bleu I, 1952 © Succession H. Matisse/2022, Pro Litteris Zürich. alle: Sammlung Beyeler, Fondation Beyeler Riehen, Foto Robert Bayer, Basel. Mitte Duane Hanson: Lunchbreak, 1989
(vorn) und Anselm Kiefer: «Dein und mein Alter und das Alter der Welt», 1997 (Im Hintergrund). Foto aus der Ausstellung, © 2022 Jürg Bürgi, Basel. Unten: Cover der Ausstellungsbroschüre (Verlagskatalog).

Auguste Rodin und Hans Arp in der Fondation Beyeler

Eingangsbild (PtolemäusːLe Penseur)
Auf den ersten Blick wirkt die Ankündigung einer Doppel-Retrospektive auf das Werk von Auguste Rodin (1840–1917) und Hans Arp (1886-1966) in der Fondation Beyeler in Riehen sonderbar: Was hat der Grossmeister der Bildhauerei im 19. Jahrhundert, ein französischer Nationalkünstler par excellence, mit dem elsässischen Dadaisten und poetischen Provokateur zu tun? Beim Gang durch die mit 110 Exponaten grandios ausgestattete, von Raphaël Bouvier kuratierte Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen wird die Skepsis etwas aufgeweicht, das Fragezeichen aber bleibt, und unmittelbar stellt sich die Erinnerung an die Konfrontation der Werke von Constantin Brâncusi und Richard Serra ein, das uns 2011 am gleichen Ort als «gewagtes Abenteuer» erschien. Was Rodin und Arp angeht, deren Werke vom 13. Dezember 2020 bis 16. Mai 2021 zu sehen sind, können einige Fakten als Anhaltspunkte für eine künstlerische Zwiesprache dienen. Hans Arp hat Auguste Rodin als Bildhauer unzweifelhaft geschätzt. 1938 ehrte er ihn mit der «Automatischen Skulptur (Rodin gewidmet)», von der in der Ausstellung je eine Version in Gips und Granit zu sehen ist.1952 schrieb er zudem zu Rodins Ehren das Gedicht «Des échos de pérennité», das zwei Jahre später, anlässlich einer Ausstellung in der Galerie von Curt Valentin in New York, unter dem Titel «Rodin» publiziert wurde. Des Weiteren ist die Vermutung berechtigt, dass sich Arp, nachdem er 1906 als Student in Weimar im grossherzoglichen Museum die Ausstellung von erotischen Zeichnungen Rodins gesehen hatte, zu eigenen Arbeiten inspirieren liess. Und sonst? Auf dem Parcours durch die Säle fällt zuerst auf, dass die Exponate auf Sockeln stehen, so dass sie auf Augenhöhe betrachtet werden können. Und den einzelnen Werken ist viel Raum gegeben. Wer hofft, augenblicklich Verwandtschaften oder gar Ähnlichkeiten der Skulpturen aus dem letzten Viertel des 19. und jenen aus der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu entdecken, wird enttäuscht sein. Ein zweiter Blick offenbart handwerkliche (der gekonnte Umgang mit Gips) und thematische (die Auseinandersetzung mit dem Torso) Affinitäten. Unsere Skepsis gegenüber der Behauptung einer Art künstlerischer Seelenverwandtschaft zwischen Rodin und Arp vermögen sie allerdings nicht aufzuheben. Aber angesichts der grossartigen doppelten Werkschau spielt das keine Rolle.

Zur Ausstellung erschien eine umfangreiche, typografisch eigenwillig gestaltete Publikation mit Texten von Astrid von Asten, Raphaël Bouvier, Catherine Chevillot, Lilien Felder, Tessa Paneth-Pollak und Jana Teuscher in einer deutschen und einer englischen Version.
Raphaël Bouvier (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Rodin Arp. Riehen/Berlin (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag) 2020, 200 Seiten, CHF 67.00/€ 58.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
ist hier zu finden.

Illustration: Hans Arp «Ptolemäus III» (1961)/Auguste Rodin «Le Penseur» (1903/!966). (Bild aus der Ausstellung, © Jürg Bürgi, 2020).

Der junge Picasso in der Fondation Beyeler

Auf der Suche nach einer eigenen Bildsprache eignete sich Pablo Picasso (1881-1973), systematisch gefördert von seinem Vater, in den 1890er-Jahren das ganze Spektrum der damals gängigen malerischen Fertigkeiten an. Obwohl überaus erfolgreich, verliess der junge Künstler um die Jahrhundertwende die vorgespurte Karriere und begann, sich malerisch eine eigene Welt zu schaffen. Dabei erlebte Picasso seine Entwicklung durchaus krisenhaft. Der Selbstmord seines Freundes Carles Casagemas, den er auf dem Totenbett porträtierte, setzte ihm schwer zu. Und als er sich 1901, bleich und im schwarzen Mantel, vor blauem Hintergrund selbst darstellte, malte er einen jungen Anarchisten, der aussah, als müsse er das ganze Elend der Welt schultern. In Zusammenarbeit mit den Musées d’Orsay et de l’Orangerie sowie dem
Autoportrait 1901 (Ausschnitt, klein)
Musée Nationale Picasso in Paris zelebriert die Fondation Beyeler in Riehen vom 3. Februar bis zum 26. Mai 2019 die melancholische «blaue» und die auf den definitiven Umzug nach Paris folgende mehr Zuversicht ausstrahlende «rosa» Periode im Werk des jungen Picasso. In seiner chronologisch angelegten Schau zeigt Kurator Raphaël Bouvier in einmaliger Ausführlichkeit 80 grossartige Zeugnisse aus den sechs entscheidenden Schaffensjahren von 1901 bis 1906. Besucherinnen und Besucher können den Wandel vom virtuosen Maler, der sich alle gängigen Stilformen zu eigen machte, zum eigenständigen Künstler nachvollziehen. Besonders eindrücklich ist der Weg im Multimedia-Raum anhand von Selbstporträts zu sehen, die in jenen sechs entscheidenden Jahren entstanden sind – vom feurig-selbstbewussten «Yo Picasso» bis zum skulptural-reduzierten «Autoportrait» vom Herbst 1906, das den Übergang zu dem 1907 entstandenen Werk «Les Demoiselles d’Avignon» ankündigt, das als erstes kubistisches Gemälde gilt. Nicht überraschend präsentiert die Fondation Beyeler vom 13. Januar bis 5. Mai 2019 parallel zum jungen Picasso unter dem Titel «Picasso Panorama» die 30 Werke, die zum Sammlungsbestand gehören. Sie wurden mit Arbeiten ergänzt, welche die Fondation Beyeler als Dauerleihgaben hütet. Um dem Publikum den Zeitgeist der Pariser Bohème nahe zu bringen, wurde das «Café Parisien» eingerichtet (das allerdings nicht mit der von Picasso und seinen Freunden auf dem Montmartre bevorzugt frequentierten Kaschemme «Lapin Agile» zu vergleichen ist.) Jeden Mittwoch verwandelt sich das Lokal im Souterrrain des Museums in ein Variététheater, in dem unterhaltsame und artistische Darbietungen zu sehen sind. (Das ausführliche Programm ist unter der URL https://www.fondationbeyeler.ch/programm/kalender/ abrufbar.)

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und der Publikationen ist
hier zu finden (und nach Ende der Ausstellung im Archiv).

Zur Ausstellung erschienen drei Publikationen.
Hrsg. Raphaël Bouvier (Fondation Beyeler): Picasso – Blaue und Rosa Periode. Riehen/Berlin 2019 (Beyeler Museum AG/Hatje-Cantz Verlag), 304 Seiten, € 60.00/CHF 68.00. (Der Katalog ist in einer deutschen und einer englischen Ausgabe verfügbar.

Raphaël Bouvier: Picasso. Blaue und Rosa Periode. Riehen/Berlin 2019 (Beyeler Museum AG/Hatje-Cantz Verlag), 56 Seiten, € 12.00/CHF 9.80. (Der kleine Begleitband ist in einer deutschen und einer französischen Ausgabe erhältlich.)

Tasnim Baghdadi und Iris Brugger (Beyeler Museum AG): Der junge Picasso. Blaue und Rosa Periode - interaktiv. Das Kinderheft führt mit zehn unterhaltsamen Aufgaben und Spielanleitungen durch die Ausstellung. Das ausgezeichnet gelungene Heft ist kostenlos bei der Information im Eingangsbereich erhältlich.

Illustration: Pablo Picasso,Autoportrait, 1901 (Ausschnitt), Musée national Picasso-Paris © Succession Picasso/2018, ProLitteris, Zürich. Foto: © RMN-Grand Palais (Musée national Picasso-Paris)/Mathieu Rabeau

Balthus bei Beyeler

Vom 2. September 2018 bis 1. Januar 2019 zeigt die Fondation Beyeler in Riehen – zum ersten Mal in der deutschsprachigen Schweiz – eine grosse Retrospektive auf das Werk des deutsch-französischen Künstlers Balthazar Klossowski de Rola, genannt Balthus (1908 bis 2001). Der wegen seiner lasziv inszenierten jungen Mädchen umstrittene Exzentriker wird dem Publikum von Kurator Raphaël Bouvier und Kuratorin Michiko Kono als «Künstler des Widerspruchs» (oder wohl eher der Widersprüchlichkeit) «und der Irritation» vorgestellt. Tatsächlich zeigen die 40 ausgestellten Bilder, die für das Gesamtwerk von lediglich 340 Gemälden als repräsentativ gelten,
Balthus_Le-Roi-des-chats_klein
ein grosses Spektrum von Sujets: Strassenszenen, Landschaftsbilder, Porträts, Interieurs. Im Zentrum steht dabei die grossformatige «Passage du Commerce Saint-André», die 1952 bis 1954 gemalt wurde und als Dauerleihgabe zur Sammlung der Fondation Beyeler gehört. Die rätselhafte, raffiniert gebaute Szene zeigt acht Personen und einen Hund, die – nicht unähnlich einem Video-Still – in ihren Bewegungen eingefroren scheinen. Typisch für Balthus ist die Raffinesse des Bildausschnitts. Scheinbar spontan werden Figuren an- und Füsse abgeschnitten: ein Bild wie eine Lomografie. Balthus war Autodidakt, hoch begabt, wie schon Rainer Maria Rilke feststellte, der den Sohn seiner Geliebten Else Kosslowski nach Kräften förderte. Mit 16, zusammen mit Mutter und Bruder wieder in Paris, begann er auf Anraten des Familienfreundes Pierre Bonnard im Louvre alte Meister zu kopieren, später malte er in der Toskana Bilder von Frührenaissance-Künstlern nach. Dies alles ist, folgt man den Balthus-Experten, im Werk zu sehen. Unbestritten ist, dass die Malerei keinem Stil der Moderne zuzuordnen ist. Balthus malte gegenständlich, wenn seine Freunde, darunter Pablo Picasso, die Möglichkeiten der Abstraktion erprobten oder dem Surrealismus frönten. Nach einer ersten Einzelausstellung 1934, die ein totaler Misserfolg war, gewann er als Porträtist ein gewisses Renommee. Gleichzeitig pflegte er sein Image als Aussenseiter, der sich dank reicher Freundinnen und Freunde einen extravaganten Lebensstil leisten konnte. Die Selbstinszenierung, zu der auch ein erfundener Grafentitel gehörte, seine Bildnisse pubertierender Mädchen und die übrigen, oft rätselhaften Sujets sowie sein handwerkliches Geschick wurden zu seinen Markenzeichen. Wer die Ausstellung in der Fondation Beyeler besucht, erhält die Möglichkeit, sich über die Qualität dieses eigenartigen Œuvres ein Urteil zu bilden und sich die Frage zu stellen, ob es auch jenseits der Provokation weiter Bestand haben wird.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid entstanden ist, und des sehr ansprechend gestalteten Katalogs
ist hier nachzulesen.

Illustration: Le Roi des chats (Selbstporträt 1935) © Balthus, Foto Etienne Malapert, Musée cantonal des Beaux-Arts des Lausanne

Jean Dubuffet in der Fondation Beyeler

Figur I klein
«Ich finde, Porträts und Landschaften müssen einander ähneln», schrieb Jean Dubuffet (1901-1985), «das ist mehr oder weniger dasselbe.» Mit dem Titel «Metamorphosen der Landschaft» nimmt Raphaël Bouvier den grossen Anreger der modernen Kunst und Erfinder der «Art brut» beim Wort. Mit rund 100 Werken aus allen künstlerischen Schaffensphasen, von den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zu seinem Tod, belegt die grosse Retrospektive, die vom 31. Januar bis zum 8. Mai 2016 in der Fondation Beyeler in Riehen zu sehen ist, wie sehr Dubuffets Bilder – egal, ob sie als Köpfe, Körper, Äcker oder urbane Häuser-Haufen in Erscheinung treten – immer als Landschaften zu lesen sind. Die imposante Ausstellung demonstriert zudem, wie sich im Lauf der Zeit seine Farbskala veränderte: Auf Bilder mit lauten Farben folgten Gemälde, auf denen erdige und dunkle Töne dominierten, bevor in den 1960er- und 1970er-Jahren, der für Dubuffet zum Markenzeichen gewordene Hourloupe-Zyklus mit einer trikoloren Palette und schwarz umrandeten Farbflächen folgte. Sie prägt auch den Höhepunkt der Schau in Riehen: Im grössten Ausstellungssaal sind 60 Elemente des riesigen Gesamtkunstwerks «Coucou Basar» zu sehen, das als «animiertes Gemälde» aus Kulissen-Teilen und kostümierten Figuren bestand und Malerei, Skulptur, Theater, Tanz und Musik zu einem grandiosen Spektakel vereint. Die beiden einzigen Kostümfiguren, die aus konservatorischen Gründen noch verwendet werden dürfen, haben während der Ausstellung zweimal wöchentlich – mittwochs um 15.00 und 17.00 Uhr, sowie sonntags um 14.00 und 16.00 Uhr – einen Auftritt. Dubuffet verdankt seinen Ruf als einer der ganz grossen Anreger der Avantgarde aber nicht bloss der Vielfalt seines künstlerischen Schaffens, sondern vor allem seiner ganz vorurteilsfreien Verwendung von naturgegebenem Material. Baumrinde, Laub und Schmetterlingsflügel collagierte er zu einzigartigen Gemälden und aus bemalten Schwämmen konstruierte er kleine Plastiken. Auf seinen Leinwänden spachtelte er die Farbe zu skulpturalen Haufen, er klebte, kratzte und schabte. Bis in die Mitte seiner Jahre schwankte der vielseitig begabte Jean Dubuffet, Sohn einer begüterten Weinhändler-Familie aus Le Havre, zwischen Lebensentwürfen als Künstler und Kaufmann. Seit einer Reise in die Schweiz, kurz nach Kriegsende war, er von der kreativen Kraft psychisch Kranker fasziniert. Er fand dafür die Bezeichnung «Art brut», um damit die Spontaneität und Ursprünglichkeit ihrer Arbeiten deutlich zu machen. «Die wahre Kunst», äusserte er einmal «ist immer da, wo man sie nicht erwartet.» Das Wilde, Anarchische zog ihn an. Zeitweise pflegte er enge Kontakte zu den Surrealisten. Sein grösster Held in der Literatur war der Arzt und Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline (1894-1961), der sich seit dem Ende der 1930er-Jahre als hemmungsloser Antisemit äusserte und sich noch kurz vor Kriegsende in Deutschland der Wehrmacht als Truppenarzt andiente. Der Verehrung Dubuffets tat dies keinen Abbruch. Gleichzeitig war er eng mit der grauen Eminenz des Literaturbetriebs, Jean Paulhan, befreundet, der während der Okkupation für die «Résistance littéraire» arbeitete – aber auch von intensiven Kontakten zu Kollaborateuren profitierte. In der Ausstellung sind diese Verwicklungen kein Thema; aber es ist sicher nützlich sie beim Betrachten von Dubuffets fulminantem Kunst-Universum mit zu bedenken. Zur Ausstellung erschien ein sehr sorgfältig gestalteter Katalog mit kenntnisreichen Texten. Das Museum bietet während der Ausstellung zudem ein reichhaltiges Begleitprogramm an. Besonders hervorzuheben sind die Bemühungen um junge Besucherinnen und Besucher, die bei zahlreichen Gelegenheiten freien Eintritt geniessen.

Raphaël Bouvier (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft. Riehen/Ostfildern (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag) 232 Seiten, € 58.00/CHF 62.50.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs findet sich
hier.

Illustration: Kostümierte Figur aus «Coucou Bazar». © Bild Jürg Bürgi, 2016

Paul Gauguin in der Fondation Beyeler

Gauguin 1903
Als sich Paul Gauguin 1903 auf der Marquesas-Insel Hiva Oa, seinem zweiten Fluchtort in der Südsee, selbst porträtierte, war er schon todkrank. Die Nebenwirkungen seiner Syphilis und seiner Alkoholsucht bekämpfte er mit Morphium. Mehrfach hatte er versucht, sich mit Arsen zu vergiften. Die Bilder aus dieser Zeit zeugen von der depressiven Stimmung des Malers, der sich in seinen letzten Monaten mit den strafrechtlichen Folgen seiner Streitsucht herumschlagen musste. Es ist zu loben, dass Martin Schwander und Raphael Bouvier, die Kuratoren der Ausstellung «Paul Gauguin», die vom 8. Februar bis zum 28. Juni 2015 in der Fondation Beyeler in Riehen ein halbes hundert herausragende Gemälde präsentieren, zu Beginn und zum Schluss des Parcours ausführlich über die biografischen und künstlerischen Eigentümlichkeiten Paul Gauguins informieren. Vor allem die Verbindung von Einzelwerken und ihren biografischen Begleitumstände – Erläuterungen des Künstlers, Briefzitate – ist technisch brillant umgesetzt. Das ist auch nötig, denn aus den Exponaten allein ist nicht ersichtlich, dass wir beim Betrachten der Bilder einen Spätberufenen bei der Suche nach seiner Bestimmung beobachten. Gauguin, nach einer Jugend in seinem Mutterland Peru, wurde zunächst Seemann; später lebte er mit seiner dänischen Frau und fünf Kindern als Börsenmakler in wohlhabenden Verhältnissen – bis er sich mit 35 entschloss, Maler zu werden. Der Übergang von Bourgeois zum Bohémien bedeutete Ausstieg und Abstieg in Raten. Die Ausstellung beginnt mit Werken vom Ende der 1880er Jahre, die in der Bretagne entstanden und religiösen Themen gewidmet sind. Seine Frau war schon 1884 mit den Kindern zu ihren Eltern nach Kopenhagen umgezogen.1891 machte sich Gauguin vom bretonischen Pont-Aven aus, wo er jungen Malern – darunter Pierre Bonnard – ein Vorbild war, erneut auf die Suche nach einem Sehnsuchtsort. Mit dem Erlös aus der Versteigerung seiner Werke schiffte er sich nach Tahiti ein, wo er nicht nur ein naturnahes, sondern auch ein billiges Leben zu führen hoffte. Hier entstehen seine bekanntesten Bilder, mit denen er die üppige Vegetation und die natürliche Lebensart der Menschen feiert. Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Abgeschnitten vom weit entfernten Kunstbetrieb gestaltete sich der Alltag viel schwieriger als gedacht. Zwar lebte er bald mit blutjungen Gefährtinnen zusammen, doch die Geldnot bestimmte sein Leben so sehr, dass er zuweilen gezwungen war, Aushilfsjobs anzunehmen. Zudem legte er sich alsbald mit der Kolonialverwaltung und dem katholischen Klerus an, weil er sich für die einheimischen Maohi einsetzte und sie unter anderem zum Steuerstreik anstachelte. Die Bilder sprechen nicht davon. Sie sind vielmehr Zeugnisse einer mentalen Flucht aus der Wirklichkeit. Sie evozieren Szenen aus dem täglichen Leben und aus der polynesischen Mythologie. 1893 war Gauguin, völlig mittellos und krank, gezwungen, auf Staatskosten nach Paris zurück zu reisen. Doch seine Situation besserte sich nicht: Ohne Erfolg stellte er seine Bilder aus und versuchte 1895 mit einer zweiten Auktion zu Geld zu kommen. Gleichwohl brach er im Juli 1895 erneut nach Polynesien auf. Die Arbeiten aus dieser zweiten polynesischen Schaffensperiode gipfeln im monumentalen Grossformat «Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?».Es entstand 1897/98 in nur vier Wochen als eine Art Lebensbilanz. Sein Zustand war zu der Zeit verzweifelt, seine Gesundheit ruiniert. Trotzdem arbeitete er, so gut es ging, weiter. 1901 verliess er Tahiti, um sich auf einer der 1400 Kilometer entfernten Marquesas-Inseln niederzulassen. In der Ausstellung sind sieben Bilder aus dieser Zeit zu sehen; sie zeigen bereits bekannte Motive, ohne dass sie die Intensität der früheren Arbeiten erreichen.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des sehr schön gestalteten Katalogs und der darin enthaltenen Aufsätze steht
hier.

Odilon Redon in der Fondation Beyeler

Odilon Redon (1840 bis 1916) begann erst relativ spät zu malen. Er hatte ein Architekturstudium abgebrochen und auch eine Lehre im Atelier eines Historienmalers gibt er auf und bildet sich autodidaktisch weiter. Ab 1870 entwickelte er 20 Jahre lang ein düsteres, von Traum-Motiven und dunklen Symbolen bestimmtes Werk. Erst 1890, im Jahr nach der Geburt seines zweiten Sohnes, wendet er sich der Farbe zu; ab 1902 hört er ganz auf, mit Kohle zu zeichnen. Thematisch bedient er sich in dieser zweiten Schaffensperiode mit Vorliebe in der antiken Mythologie, aber auch religiöse Motive faszinieren ihn, christliche und buddhistische. Die Fondation Beyeler in Riehen widmet dem zeichnerischen und malerischen Werk dieses bedeutenden Wegbereiters der Moderne vom 2. Februar bis zum 18. Mai 2014 eine umfassende Ausstellung. Die von Raphaël Bouvier kenntnisreich eingerichtete Schau zeigt alle Facetten von Redons vielgestaltigem Oeuvre. Dabei erweist es sich, dass Redon in vielerlei Hinsicht als Vorreiter der Moderne betrachtet werden kann und seine geläufige Etikettierung als Vertreter des Symbolismus nur einen Aspekt seines Schaffens beschreibt. Seine aus Träumen destillierten Motive nehmen Elemente des Surrealismus voraus, auch an Fauvismus und Kubismus ist man erinnert, wenn man seine Bilder aus heutiger Sicht betrachtet. Es ist kein Zufall, dass Redon für viele seiner jüngeren Kollegen zum Vorbild wurde. Als Mitbegründer des «Salon des Indépendants» setzte er sich nicht nur für neue Ausstellungsmöglichkeiten ein, er öffnete seine Pariser Stadtwohnung auch als Treffpunkt junger Künstler. Eine ausführliche Besprechung der eindrücklichen Ausstellung und des sorgfältig gestalteten Katalogs steht hier zur Verfügung.
Illustration: Odilon Redon, 1894 (© Bridgeman Art Library)