Fondation Beyeler

Niko Pirosmani in der Fondation Beyeler

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Niko Pirosmani (geboren als Nikolos Pirosmanaschwili, 1862-1918) ist ein Solitär in der Kunstgeschichte der Moderne. Über den Autodidakten, in einem kleinen Dorf in Kachetien, im äusserten Süden Georgiens geboren, gibt es nur wenige zuverlässige biografische Angaben. Gleichwohl wird er seit den 1920er-Jahren von vielen Malern der Avantgarde zugerechnet und in seiner georgischen Heimat als Nationalkünstler verehrt. Dem heutigen Publikum im Westen ist Pirosmani weitgehend unbekannt geblieben – obgleich zahlreiche seiner Werke 1969 in Paris, 1995 auch in Zürich und zuletzt 2019 in Wien im Kontext zeitgenössischen Kunstschaffens zu sehen waren. Das dänische Louisiana Museum für moderne Kunst in Humblebæk (im vergangenen Sommer) und die Fondation Beyeler in Riehen (vom 17. September 2023 bis 28. Januar 2024) unternehmen es nun, unterstützt vom Georgischen Nationalmuseum und dem georgischen Kulturministerium, die eigenartige Magie dieses Œuvres endlich auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. In Dänemark ist dies anscheinend gelungen: «Ein Knüller von einer Ausstellung!», schrieb die Wochenzeitung «Weekendavisen». «Pirosmani ist ein Geschenk an die Weltkunst.» Wie ein Rundgang durch die in neun Räumen von Gastkurator Daniel Baumann, dem Direktor der Zürcher Kunsthalle, inszenierte Ausstellung zeigt, trifft die Einschätzung der Kopenhagener Kollegen den Nagel auf den Kopf.
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Zu sehen sind in Riehen 49 Arbeiten, die mit Ölfarbe meist auf schwarzes Wachstuch oder Karton gemalt wurden. Da die meisten Werke nicht datiert sind, ist eine chronologische Abfolge, die Aufschluss über Schaffensperioden oder Motiv-Präferenzen geben könnte, nicht möglich. Typisch für Pirosmani ist seine Porträtkunst, wobei es keinen offensichtlichen Unterschied zwischen menschlichen und tierischen Modellen gibt. Sehr oft stammen sie aus dem Umfeld des Malers: Der Fischer, der Koch, der Hausmeister, die Amme, der Doktor auf seinem Esel, das Wildschwein, die Ziege, der Bär, der Hirsch. Menschen und Tiere treten uns nicht als einzigartige Individuen entgegen, sondern als Exempel ihrer Art. Die Figuren füllen den ganzen Bildraum aus. Für einige, wie die berühmte «Giraffe» scheint sogar der nötige Platz zu fehlen, weshalb sie mit einem kurzen Hals vorlieb nehmen muss. Ein Hintergrund ist meist nur angedeutet. Man kann sich vorstellen, dass solche Helgen als Schilder hätten dienen können, für ein «Gasthaus zum Eber» zum Beispiel oder für eine «Wirtschaft zum Hirschen», Tatsächlich hingen zahlreiche Bilder Pirosmanis in Tavernen und Gasthäusern – Auftragsarbeiten des zeitweise obdachlosen Künstlers im Tausch für Kost und Logis. Eine zweite Motivreihe ist als Erzählung konzipiert:
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Männer beim Trinkgelage, das «Fest des heiligen Georg in Bolnissi», das «Fest am Fluss Zcheniszkali», ein Personenzug an einer Haltestelle in Kachetien, auf der Fracht – mit Wein gefüllte Bälge und amphorenartige Tongefässe – auf- und abgeladen wird, oder (nicht in der Ausstellung zu sehen, aber im Katalog abgebildet) ein detailreiches «Gastmahl während der Weinlese». Vor allem die Festbilder enthalten zahlreiche kleine Szenen und erinnern so an Wimmelbilder, wie wir sie aus Kinderbüchern kennen. Eine dritte Kategorie von Arbeiten sind Stillleben, die möglicherweise das Angebot in Gastwirtschaften illustrierten. Von Niko Pirosmani ist eine einzige Fotografie aus dem Jahr 1916 überliefert. Wir sehen einen bärtigen, selbstbewusst in die Kamera blickenden Mitvierziger. Sechs Jahre zuvor waren der georgische Kunststudent Ilja Sdanewitsch und sein russischer Kommilitone Michail Le-Dantju im Tbilisser Wirtshaus «Waräger» auf Gemälde Pirosmanis gestossen: «Der Maler war Autodidakt, seine Technik und sein Verständnis von Malerei zeugten von Meisterschaft und eigenwilliger Methodik», erinnerte sich Iljas Bruder Kirill, der Pirosmani einige Wochen nach der Entdeckung auf der Strasse antraf. Kurze Zeit später publizierte Ilja Sdanewitsch in einer Lokalzeitung unter dem Titel «Ein autodidaktischer Maler» eine erste Hommage und rief dazu auf, den Künstler, der bei schlechter Gesundheit war, zu unterstützen. Auf seiner Rückreise zur Kunsthochschule in St. Petersburger traf Sdanewitsch in Moskau die russische Malerin Nataljia Gontscharowa (1881-1962) und ihren Freund Michail Larionow (1881-1964), die Anführer der russischen, als «Neoprimitivismus» und «Rayonismus» bezeichneten Avantgarde-Bewegung, und brachte ihnen Bilder Pirosmanis. Im März/April 1913 wurden sie, zusammen mit Arbeiten Marc Chagalls, Kazimir Malewitschs sowie Le-Dantjus in der epochemachenden Ausstellung «Zielscheibe» («Mischen») präsentiert. Damit hatte es sich. Niko Pirosmanis Kunst blieb – im Gegensatz zu den Werken der russischen Avantgarde – im Westen unentdeckt. Eine in Paris geplante Ausstellung fiel 1914 dem Kriegsbeginn zum Opfer. Und die Bemühungen, ihm wenigstens in Georgien den ihm gebührenden Platz in der Kunstszene einzuräumen, endeten in einer Blamage. Die neue gegründete Gesellschaft der georgischen Künstler nahm den Aussenseiter 1916 zu seiner grossen Freude in ihren Kreis auf. Man gab ihm zehn Rubel und liess
Fest des heiligen Georg in Bolnissi
ihn vom Fotografen Eduard Klar ablichten. Im Gegenzug präsentierte er den Kollegen sein Bild «Georgische Hochzeit in alten Zeiten». Beides zusammen, Foto und Gemälde, wurden in der Zeitung «Sachalcho purzeli» mit dem Bildtext: «Der Volksmaler Niko Pirosmanaschwili» publiziert. Die Glücksblase platzte, als der so Geehrte kurze Zeit später in der illustrierten Beilage derselben Zeitung eine Karikatur von sich entdeckte: Barfüssig und in abgerissener Kleidung war darauf ein Künstler mit Palette und Pinsel zu sehen, der gerade dabei war, die «Giraffe» zu malen. Ein bürgerlich gekleideter Mann stand daneben und gab dem Maler Anweisungen: «Du musst lernen, mein Freund. In deinem Alter kann einer noch einiges schaffen…» Beleidigt brach Pirosmani alle Kontakte zur Künstlergesellschaft ab und bezog ein anderes Wohnquartier. Kollegen, die ihm helfen wollten, hatten die grösste Mühe, ihn ausfindig zu machen. Er lebte praktisch auf der Strasse, war krank, depressiv und verwirrt. Er starb in der Osternacht 1918. Wo er begraben wurde, ist unbekannt. Was von ihm geblieben ist, sind seine Bilder, zahlreiche Legenden und ein Nachruhm als Nationalkünstler, dessen Porträt und das Bild eines Rehs bis 2006 die Ein-Lari-Banknote zierte. Die Ausstellungen in Dänemark und der Schweiz werden das Interesse an Pirosmanis Kunst mit Sicherheit weiter stärken. Als überaus erfreulicher Nebeneffekt ermöglichten sie die Restauration der ausgestellten Gemälde. Zudem entstand ein Katalog mit zahlreichen kenntnisreichen Aufsätzen, die den aktuellen Stand der Pirosmani-Forschung dokumentieren.

S. Keller und D. Baumann (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Niko Pirosmani. Berlin 2023 (Haje Cantz Verlag), 208 Seiten, CHF 62.50/€ 58.00.

Illustrationen: Porträt des Fotografen Eduard Klar. © Infinart Foundation/George Chubinashvili National Research Centre for Georgian Art History and Heritage Preservation. (Es ist zweifelhaft, ob dies tatsächlich das einzige Konterfei Pirosmanis ist. Der Wikipedia-Text
https://de.wikipedia.org/wiki/Niko_Pirosmani zeigt das Bild eines bartlosen, jüngeren Mannes.) «Fischer», «Giraffe», «Fest des heiligen Georg in Bolnissi» (Foto aus der Ausstellung) © Infinitart Foundation.

Wayne Thiebaud in der Fondation Beyeler

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Mit grosser Sorgfalt kuratiert von Ulf Küster, präsentiert die Fondation Beyeler in Riehen vom29. Januar bis 21. Mai 2023 eine umfassende Retrospektive auf das Werk des amerikanischen Malers Wayne Thiebaud. Zu sehen sind 65 Gemälde und Zeichnungen, die beispielhaft sowohl die Sujets wie auch die handwerkliche Raffinesse von Thiebauds Kunst demonstrieren. Geboren 1920 in Mesa, Arizona, aufgewachsen in Kalifornien, wo er während Jahrzehnten lebte und an Weihnachten 2021 im Alter von 101 Jahren starb, war Thiebauds seit den frühen 1960er-Jahren berühmt für seine der Pop-Art zugerechneten ikonischen Bilder von Tortenauslagen, Mickey-Maus-Figuren, Lippenstiften, Spielautomaten und Farbkübeln. Hohes Ansehen genoss er auch als Professor für Malerei an der University of California, Davis.
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Beim Rundgang durch die Ausstellung fällt schnell auf, dass die Etikettierung dieser Kunstwerke als Pop-Art auf irritierende Art oberflächlich wirkt. Zwar ist die ironische Distanz zu den Verlockungen der amerikanischen Überfluss-Ökonomie auch ein Charakteristikum von Wayne Thiebauds Blick auf seine Umwelt. Doch mindestens so stark ist bei ihm Melancholie spürbar. In den üppigen Tortenauslagen ebenso wie in den Blicken und Haltungen der porträtierten Menschen widerspiegelt sich die Schattenseite des zwanghaft optimistischen American Way of Life. Es ist verständlich, dass der Künstler der Zuschreibung seines Werks zur Pop-Art ablehnend gegenüberstand. Wir werden ihm wohl eher gerecht, wenn wir ihn der Verwandtschaft von Edward Hopper zurechnen und uns an den Freiheitsbegriff der Existentialisten erinnern, der von der Erfahrung von Absurdität, Langeweile, Ekel und Angst geprägt ist. Folgen wir dem überaus lesenswerten Essay Ulf Küsters im aufschlussreichen Katalog zur Ausstellung, so sollten wir unsere Aufmerksamkeit ohnehin weniger den Motiven als vielmehr der malerischen Umsetzung schenken. «Thiebaud», schreibt Küster, «zeigt mit seinen Bildern immer das Sowohl-als-auch von Malerei: sowohl die Illusionistische Darstellung von wiedererkennbaren Dingen als auch Farbe in unterschiedlicher Dichte und Verteilung.» Malerei, heisst es weiter, «kann immer sowohl gegenständlich als auch ungegenständlich sein. Sie ist jedenfalls immer einem Abstraktionsprozess unterworfen, der bei der Übertragung einer als dreidimensional empfundenen Wirklichkeit auf
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die zweidimensionale Fläche des Malgrunds vonstatten geht.» Wayne Thiebaud kannte sich in der Kunstgeschichte überdurchschnittlich gut aus, weshalb wir das Bild «35 Cent Masterworks» von 1970-72 als Schlüssel zu seinen künstlerischen Vorbildern lesen können. Unter den 12 Meistern ist Diego Velázquez (1599-1660) der älteste, die übrigen repräsentieren auf je eigene Weise die Malerei der Moderne – vom amerikanischen Realisten Thomas Eakins (1844-1916) bis zum italienischen Surrealisten Giorgio de Chirico (1888-1978). Für das Verständnis von Thiebauds Malerei ist die Präsenz des abstrakten Malers par excellence, des Holländers Piet Mondrian, besonders interessant. Er ist mit seinem «Tableau No. IV» von 1924/25 vertreten, einem Bild, das die Wirkung der Kombination von Primärfarben demonstriert. Zufällig ist das nicht, wenn man sich beim Betrachten von Thiebauds Werken auf seine Maltechnik konzentriert. Zuerst stechen die grosszügig dick aufgetragenen Farben ins Auge; und gleich darauf bemerken wir die feinen farbigen Linien, aus denen einzelne Flächen zusammengesetzt sind. Man betrachte etwa die Schürsenkel des Mannes auf dem Barhocker («Eating Figures», 1963).
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Auch auf dem erwähnten Gemälde mit der Vorbilder-Sammlung sind feine farbige Linien zu entdecken. Dass diese Technik offensichtlich keine Marotte aus dem Anfang seiner Künstlerkarriere war, belegt das Bild von zwei Hochzeitstorten («Two Wedding Cakes»), das der 95-jährige 2015 malte. Die Ausstellung Das Werk von Wayne Thiebaud, das in der Schweiz noch nie und in Europa nur selten zu sehen war, ist eine faszinierende Entdeckung. Und die Ausstellung in der Fondation Beyeler ist jederzeit einen Umweg wert.

Zur Ausstellung erschien ein sehr schön gestalteter Katalog mit einem überaus lesenswerten Essay des Herausgebers und Kurators Ulf Küster, sowie dem vollständigen Text eines Interviews mit Jason Edward Kaufman, in dem der hochbetagte Künstler über sein Lebenswerk Auskunft gab. Weitere Beiträge von Janet Bishop und der Assistenzkuratorin Charlotte Sarrazin.
Ulf Küster (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Wayne Thiebaud. Berlin 2023 (Hatje Cantz Verlag), 160 Seiten, CHF 62.50.

Illustrationen von oben nach unten: Wayne Thiebaud (©Wikipedia), «35 Cent Masterworks»,1970-72; «Eating Figures (Quick Snacks)», 1963; Bilder © Wayne Thiebaud Foundation/2022, Pro Litteris, Zurich «Eating Figures» (Detail, Foto Ausstellung © Jürg Bürgi 2023).

Jubiläumsausstellung der Fondation Beyeler

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Praktisch die ganze Fläche der Fondation Beyeler in Riehen stand dem Kurator Raphaël Bouvier zur Einrichtung der Sammlungspräsentation zum 25-jährigen Jubiläum zur Verfügung. Er nutzte die 20 Räume in grosszügiger, um einen Teil der rund 400 Gemälde und Skulpturen aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert zu inszenieren, über die das meistbesuchte Museum der Schweiz inzwischen verfügt. Zu sehen sind einerseits die prominentesten Künstler und ihre Werke. Ihnen sind ganze Räume gewidmet: Claude Monet, Alberto Giacometti, Henri Matisse, Paul Klee, Juan Miró, Marc Rothko und – als einzige Künstlerin – Marlene Dumas. Mit 30 Bildern und Skulpturen besitzt die Fondation Beyeler eine der weltweit qualitätvollsten Werkgruppen von Pablo Picasso. Kein anderer Künstler ist in der Sammlung mit einer so grossen Zahl von Arbeiten vertreten. Andere Künstlerinnen und Künstler werden im Kontext ihrer Kunstbewegung präsentiert, zum Beispiel der Postimpressionismus, die frühe Abstraktion oder die Pop-Art. Arbeiten der Gegenwartskunst, zum Beispiel von Louise Bourgeois (1911-2020), Tacita Dean (geb. 1965) oder Roni Horn (geb. 1955) sind in Gegenüberstellungen arrangiert. Insgesamt belegt die für die Ausstellung getroffene Auswahl die hohe Qualität der von Ernst und Hildy Beyeler in ihre private Sammlung aufgenommenen Werke. Und sie demonstriert gleichzeitig, wie schwierig es ist, bei der Erweiterung der Sammlung mit zeitgenössischen Werken dieses hohe Niveau sicherzustellen. Einige der neu erworbenen Arbeiten werden in der Jubiläumsausstellung zum ersten Mal überhaupt gezeigt, darunter die 2020 entstandene skulpturale Installation «Poltergeist» der englischen Künstlerin Rachel Whiteread (geb. 1963). Und – Überraschung! – Pierre Bonnards Gemälde «La Source ou Nu dans la baignoire» von 1917, die erste Erwerbung eines Werks der klassischen Moderne seit dem Tod des Stifter-Ehepaars.

Hanson und Kiefer
Zwei Dinge sind uns beim Rundgang durch die sehr sehenswerte Schau aufgefallen. Erstens – augenfällig und irritierend – die Anwesenheit der hyperrealistischen Skulpturengruppen des Amerikaners Duane Hanson (1925-1996). Wurden sie aufgestellt, weil der Kurator der Überzeugungskraft der ausgestellten Werke misstraute? Sicher nicht! Oder hielt er es für nötig, mit Hilfe von Hansons sozialkritisch aufgeladenen Inszenierungen die Feier des inzwischen dem bürgerlichen Kunstkanon zugerechneten Sammlungsbestands ironisch zu brechen? Oder ging es bloss darum – wie es im Pressetext heisst – «erstmals überhaupt eine repräsentative Gruppe von Hanson-Skulpturen im Kontext einer Museumssammlung» zu zeigen? Unbestritten ist, dass die Fremdkörper in einzelnen Fällen eine witzige Ergänzung schaffen – zum Beispiel die Mutter mit dem Buggy inmitten von Giacomettis lebensgrossen Figuren. Hansons Bautrupp auf dem Gerüst vor Anselm Kiefers riesigem Werk «Dein und mein Alter und das Alter der Welt» von 1997 beeinträchtigt unserer Ansicht nach dessen Monumentalität in grotesker Weise. Die zweite Auffälligkeit ist die Hängung einzelner Gemälde. Sie sind so locker platziert, dass ganze Wandteile unbespielt bleiben. Das konzentriert zwar die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf das einzelne Werk. Doch fragt man sich im Wissen um den Reichtum der Sammlung, weshalb da und dort nicht noch Platz für die eine oder andere Preziose gewesen wäre. Ist das Magazin wegen vieler Ausleihungen leer? Oder wurden die nicht berücksichtigten Werke als zu wenig publikumswirksam eingeschätzt?

Cover
Der Fondation Beyeler ist es offensichtlich wichtig, ihre Sammlung mit der Jubiläumsausstellung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dass die Boulevardzeitung «Blick» des kunstsinnigen Verlegers Michael Ringier als «Medienpartner» firmiert, unterstreicht diese Intention ebenso wie das breit angelegte Rahmenprogramm. Die Podcasterin Stefanie Müller-Frank begleitet ab dem 3. November kulturell interessierte Gäste durch die Ausstellung und vermittelt deren Eindrücke unter dem Titel «So gesehen» in Podcasts. Besonders reichhaltig sind die Angebote für Kinder und Jugendliche. Das ganze Begleitprogramm, das natürlich auch kreative Angebote und Führungen für Erwachsene umfasst, ist auf der Website der Fondation Beyeler verfügbar.

Zur Jubiläumsausstellung erschien auch eine Publikation:
Fondation Beyeler, Bouvier, R. (Hrsg.): Fondation Beyeler. 25 Highlights. Riehen/Berlin 2022 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag). 80 Seiten CHF 12.00 in der Ausstellung €18.00 im Buchhandel.

Illustrationen, oben von links: Paul Cézanne: Mme Cézanne à la chaise jaune, 1888-1890, Pablo Picasso: Epoque des Demoiselles d’Avignon, 1907 © Succession Picasso/2022, Pro Litteris, Zürich . Henri Matisse: Nu bleu I, 1952 © Succession H. Matisse/2022, Pro Litteris Zürich. alle: Sammlung Beyeler, Fondation Beyeler Riehen, Foto Robert Bayer, Basel. Mitte Duane Hanson: Lunchbreak, 1989
(vorn) und Anselm Kiefer: «Dein und mein Alter und das Alter der Welt», 1997 (Im Hintergrund). Foto aus der Ausstellung, © 2022 Jürg Bürgi, Basel. Unten: Cover der Ausstellungsbroschüre (Verlagskatalog).

«Close-Up»: Neun Porträtistinnen in der Fondation Beyeler

Frida Kahlo
Kuratiert von Theodora Vischer zeigt die Fondation Beyeler in Riehen vom 21. September 2021 bis am 9. Januar 2022 unter dem Titel «Close-Up» rund 100 Werke von neun Künstlerinnen, die in der Zeit von 1870 bis zur Gegenwart entstanden sind. Die chronologisch gestaltete Ausstellung beginnt mit den Impressionistinnen Berthe Morisot (1841-1895) und Mary Cassatt (1844-1926), dann folgen Paula Modersohn-Becker (1876-1907) und Lotte Laserstein (1898-1993), Frida Kahlo (1907-1954) und Alice Neel (1900-1984) sowie die Zeitgenossinnen Marlene Dumas (*1953), Cindy Sherman (*1954) und Elisabeth Peyton (*1965). Als Gemeinsamkeit der künstlerischen Arbeit – «Close-Up», der Titel der Schau, fasst die Intention zusammen – nennt die Einleitung zum Saaltexte-Heft «die Konzentration auf Porträts und Selbstporträts». Diese Einschränkung ist wichtig, weil damit eine Auseinandersetzung mit dem gesamten Œuvre der Künstlerinnen umgangen wird. Wer durch die Ausstellung geht, wird sein Interesse auf die Frage fokussieren, welche Sicht auf die abgebildeten Menschen die Malerinnen wählten. Während bei Berthe Morisot und Mary Cassatt vor allem ihre impressionistische Maltechnik Aufmerksamkeit verdient – und ihr Mut, sich darauf einzulassen, Hochachtung – ist bei ihren Nachfolgerinnen die Abkehr von der traditionellen Porträtmalerei bemerkenswert: Nicht mehr das möglichst genaue Abbild der äusseren Erscheinung der Porträtierten war die künstlerische Herausforderung, sondern die Darstellung der subjektiv erfassten Persönlichkeit. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler bietet einen lebendigen Einblick in die Porträtmalerei der letzten 150 Jahre; sie ermöglicht die Bekanntschaft mit selten ausgestellten Werken (Morisot, Cassatt, Laserstein, Geel) aus dem 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert und das Wiedersehen mit zeitgenössischen Malerinnen. Wer wissen möchte, wie die Auswahl gerade dieser neun Künstlerinnen zustande kam, erhält allerdings keine Antwort. Und auch die spannende Frage, ob Porträtistinnen anders malen als ihre männlichen Kollegen, muss mangels Vergleichsmöglichkeiten offen bleiben. Zum aktuellen Druck auf Ausstellungsmacherinnen, jetzt unbedingt Künstlerinnen eine Bühne zu bereiten, erübrigt sich eine Bemerkung. Wir halten das für eine Mode, die in absehbarer Zeit von einer vernünftigen, auf Qualität fokussierten Balance abgelöst wird.

Zur Ausstellung erschien – in je einer deutschen und englischen Version – ein schön gestalteter, reich illustrierter Katalog mit kenntnisreichen Künstlerinnen-Porträts und sorgfältig kommentierten Chronologien.
Vischer, Theodora (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Close-Up. Berthe Morisot, Mary Cassatt, Paula Modersohn-Becker, Lotte Laserstein, Frida Kahlo, Alice Neel, Marlene Dumas, Cindy Sherman, Elisabeth Peyton. Riehen/Berlin 2021 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag). 342 Seiten, CHF 58.00/€ 58.00.

Illustration: Frida Kahlo, Selbstporträt (1926)

Ólafur Elíasson in der Fondation Beyeler

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Vier Monate lang, vom April bis Juli 2021, erhält aus Island stammende Konzeptkünstler Ólafur Elíasson (geb. 1967) Gelegenheit, in der Fondation Beyeler in Riehen unter dem Titel «Life» seine Vision eines kunstwerklosen Museums zu verwirklichen. Dafür liess er die ganze Glasfassade der Gartenfront neben dem Eingang entfernen und den Seerosenteich davor in die leergeräumten Ausstellungsräume ins Innere des Museums eindringen. Das ungiftig grün gefärbte Wasser, die force tranquille, ist kaum sichtbar in Bewegung; die lückenhaften Blätterteppiche, die sich darauf ausbreiten, deuten aber Lebendigkeit an. Da die Wasserlandschaft täglich 24 Stunden auf Holzstegen begehbar ist, vermittelt sie zahlreiche ebenso faszinierende wie unspektakuläre Sinneseindrücke. Die Farbe des Wassers verändert sich je nach Wetter, Tageszeit und Lichteinfall ständig. In der Nacht, von oben blau beleuchtet, erscheint das Wasser gelb.
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Auffallend ist die Ruhe, die von der Installation ausgeht. Die zahlreichen Besucherinnen und Besucher bewegen sich schweigend und ohne Hast auf den Stegen. Und auch das Publikum, das sich auf dem Vorgelände zum Teich niedergelassen hat, verharrt zumeist in kontemplativer Stille.

Das ist ganz im Sinne des Künstlers. «Das Leben auf der Erde», gibt er in einem Statement zu Bedenken, «hatte schon mindestens drei Milliarden Jahre überstanden, bevor [es Menschen gab] ... Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass wir ‹auserwählte› Spezies sind, für die alle anderen gemacht wurden. Und wir sind auch nicht die wichtigste Spezies, nur weil wir so zahlreich, mächtig und gefährlich sind.» Und Sam Keller, Direktor des Museums, bezieht das Publikum mit ein, wenn er von einem «kollektiven Experiment» spricht, das Elíassons Installation darstellt. «Es stellt Konventionen von Kunst, Natur, Institution und Leben in Frage und versucht ihre Grenzen zerfliessen zu lassen.» Sein Werk, erklärt Elíasson, sei nicht nur für menschliche, sondern ebenso für nichtmenschliche Besuchende gemacht, für Pflanzen und Mikroorganismen.
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Zudem sei es dem Wetter und dem Klima ausgesetzt – Elemente, die ein Museum gewöhnlich fernzuhalten versucht.

In der Tat wirkt wohl Elíassons Werk am nachhaltigsten durch seine dystopische Perspektive nach: Da ist nicht nur ein Kunstmuseum ohne Kunst zu besichtigen, sondern auch die Aussicht darauf, dass menschliche Kreativität, ja die ganze Spezies, eines Tages ohne weiteres verschwinden und ihre Kultstätten von der Natur zurückgeholt werden. Das Memento Mori, hatte als Grundthema der bildenden Kunst während Jahrhunderten das Individuum im Fokus. Elíassons eindrückliche Installation weitet die Mahnung nun auf die ganze Menschheit aus.

Illustrationen © Jürg Bürgi 2021

Auguste Rodin und Hans Arp in der Fondation Beyeler

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Auf den ersten Blick wirkt die Ankündigung einer Doppel-Retrospektive auf das Werk von Auguste Rodin (1840–1917) und Hans Arp (1886-1966) in der Fondation Beyeler in Riehen sonderbar: Was hat der Grossmeister der Bildhauerei im 19. Jahrhundert, ein französischer Nationalkünstler par excellence, mit dem elsässischen Dadaisten und poetischen Provokateur zu tun? Beim Gang durch die mit 110 Exponaten grandios ausgestattete, von Raphaël Bouvier kuratierte Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen wird die Skepsis etwas aufgeweicht, das Fragezeichen aber bleibt, und unmittelbar stellt sich die Erinnerung an die Konfrontation der Werke von Constantin Brâncusi und Richard Serra ein, das uns 2011 am gleichen Ort als «gewagtes Abenteuer» erschien. Was Rodin und Arp angeht, deren Werke vom 13. Dezember 2020 bis 16. Mai 2021 zu sehen sind, können einige Fakten als Anhaltspunkte für eine künstlerische Zwiesprache dienen. Hans Arp hat Auguste Rodin als Bildhauer unzweifelhaft geschätzt. 1938 ehrte er ihn mit der «Automatischen Skulptur (Rodin gewidmet)», von der in der Ausstellung je eine Version in Gips und Granit zu sehen ist.1952 schrieb er zudem zu Rodins Ehren das Gedicht «Des échos de pérennité», das zwei Jahre später, anlässlich einer Ausstellung in der Galerie von Curt Valentin in New York, unter dem Titel «Rodin» publiziert wurde. Des Weiteren ist die Vermutung berechtigt, dass sich Arp, nachdem er 1906 als Student in Weimar im grossherzoglichen Museum die Ausstellung von erotischen Zeichnungen Rodins gesehen hatte, zu eigenen Arbeiten inspirieren liess. Und sonst? Auf dem Parcours durch die Säle fällt zuerst auf, dass die Exponate auf Sockeln stehen, so dass sie auf Augenhöhe betrachtet werden können. Und den einzelnen Werken ist viel Raum gegeben. Wer hofft, augenblicklich Verwandtschaften oder gar Ähnlichkeiten der Skulpturen aus dem letzten Viertel des 19. und jenen aus der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu entdecken, wird enttäuscht sein. Ein zweiter Blick offenbart handwerkliche (der gekonnte Umgang mit Gips) und thematische (die Auseinandersetzung mit dem Torso) Affinitäten. Unsere Skepsis gegenüber der Behauptung einer Art künstlerischer Seelenverwandtschaft zwischen Rodin und Arp vermögen sie allerdings nicht aufzuheben. Aber angesichts der grossartigen doppelten Werkschau spielt das keine Rolle.

Zur Ausstellung erschien eine umfangreiche, typografisch eigenwillig gestaltete Publikation mit Texten von Astrid von Asten, Raphaël Bouvier, Catherine Chevillot, Lilien Felder, Tessa Paneth-Pollak und Jana Teuscher in einer deutschen und einer englischen Version.
Raphaël Bouvier (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Rodin Arp. Riehen/Berlin (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag) 2020, 200 Seiten, CHF 67.00/€ 58.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
ist hier zu finden.

Illustration: Hans Arp «Ptolemäus III» (1961)/Auguste Rodin «Le Penseur» (1903/!966). (Bild aus der Ausstellung, © Jürg Bürgi, 2020).

Edward Hopper in der Fondation Beyeler: Ein neuer Blick auf Landschaft

Edward Hopper (1882-1967), dem Erfinder verstörender, mit wartenden Menschen besetzter amerikanischer Interieurs, widmet die Fondation Beyeler vom 26. Januar bis (dank der Corona-Pandemie) 26. Juli 2020 eine grosse Einzelausstellung. Überraschend hat sie aber nicht, wie zu erwarten wäre, die Beklemmung im Fokus, welche die Bilder des gelernten Gebrauchsgrafikers evozieren, vielmehr stellt Kurator Ulf Küster (In Zusammenarbeit mit dem New Yorker «Whitney Museum of American Art») unter dem Titel «Ein neuer Blick auf Landschaft» die Darstellungen der Natur – Wald, Wiesen, Wasser – in den Mittelpunkt.
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Ausgehend von dem als Dauerleihgabe dem Museum anvertrauten Gemälde «Cape Ann Granite» von 1928 führt der thematisch angelegte Parcours an kraftvoll gemalten Ansichten aus den Neuengland-Staaten vorbei. Während auf einem Teil der insgesamt 65 Exponate aus den Jahren 1909 bis 1965 die unberührte Natur die Hauptrolle spielt, ist auf anderen die menschliche Präsenz offenkundig – auch wenn sie nicht offen in Erscheinung tritt: Strassen, Häuser, Telegrafenmasten, Eisenbahnen, Autos zeugen von Eingriffen des Menschen. Ganz auf Personen verzichten, mochten die Ausstellungsmacher allerdings nicht. Das Spätwerk «Cape Cod Morning» von 1950, das eine Frau in erwartungsvoller Haltung im Erker eines traditionellen Holzhauses zeigt, ist prominent auf der Rückseite des Katalogs platziert. Und auch die beklemmend-einsame Mobil-Tankstelle («Gas», 1940) auf der Umschlag-Vorderseite ist belebt. Der Besitzer, offenbar schon für den Feierabend umgezogen, ordnet in der Abenddämmerung die Schläuche, um danach seinen Betrieb zu schliessen und das Licht zu löschen. Das Bild, nicht nach der Natur wie viele andere, sondern aus der Beobachtung mehrerer Tankstellen rund um den Ferienort Truro in Massachusetts gemalt, ist beispielhaft für die Art, wie Hopper
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in seinen Gemälden Geschichten, nein, nicht erzählt, sondern bloss anreisst. Er stellt eine Szenerie und ihre Stimmung zur Verfügung und überlässt den Betrachtenden alles Weitere. Der Amerika-affine Filmemacher Wim Wenders (z.B.. «Paris Texas», «Don’t Come Knocking») machte sich diese Offenheit in seinem Ausstellungsbeitrag, dem 3D-Kurzfilm «Two or Three Things I Know about Edward Hopper» zunutze, indem er sich von Stimmungen und Motiven in Bildern Hoppers inspirieren liess und sie zu einer ebenso handlungsarmen, im Vagen balancierenden eigenen Geschichte destillierte. Auch Alfred Hitchcock ( zum Beispiel in «Psycho») und andere Protagonisten des amerikanischen Kinos liessen sich direkt von Hopper inspirieren. Und im Roman «Lolita» von Vladimir Nabokov gibt es eine Szene, die direkt Bezug auf Hoppers Tankstellen-Bild «Gas» Bezug nimmt, wie der Literaturwissenschaftler Will Norman 2013 in einem Vortrag feststellte (https://journals.openedition.org/transatlantica/8462): «We had stopped at a gas station, under the sign of Pegasus, and [Lolita] had slipped out of her seat and escaped to the rear of the premises while the raised hood, under which I had bent to watch the mechanic's manipulations, hid her for a moment from my sight».

Wim Wenders und Kurator Ulf Küster kamen an der Medien-Präsentation der Ausstellung mehrfach auf den «Sog» zu sprechen, den Hoppers Bilder auf die Betrachtenden ausübten. Tatsächlich ist diese Wirkung vor allem den Darstellungen zuzuschreiben, in denen Menschen präsent sind. Aber auch Hoppers anscheinend von dunklen Geheimnissen erfüllten Wäldern ist diese Faszination eigen. Tatsächlich hat sich der Maler Zeit seines Lebens intensiv mit der menschlichen Psyche befasst. Er las die Schriften von C.G. Jung und Sigmund Freud und beschäftigte sich mit seinen eigenen Handicaps, darunter eine immer wieder auftretende Mal-Hemmung. «Kunst», schrieb Hopper 1939 in einem Brief, «ist in so hohem Mass ein Ausdruck des Unbewussten, dass mir scheint, dass sie dem Unbewussten das Wichtigste verdankt und das Bewusstsein nur eine untergeordnete Rolle spielt.»

Zur Ausstellung erschien ein Katalog in deutscher und englischer Version mit Texten von Erika Doss, Ulf Küster, David Rubin und Katharina Rüppell.
Küster, U. (Hrsg.): Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft. Riehen/Berlin 2020 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 148 Seiten € 58/CHF 62.50.

Kurator Ulf Küster schrieb zudem eine Hopper-Monografie.
Küster, U. Edward Hopper: A – Z. Berlin 2020 (Hatje Cantz Verlag)120 Seiten, 40 Abb. € 18.00/CHF 19.90.

Illustrationen: Cape Ann Granite (1928) © Heirs of Josephine Hopper/2019 ProLitteris, Zürich. Foto: Christie’s (oben)
Gas (1940) © Heirs of Josephine Hopper/2019 ProLitteris, Zürich. Foto: ©2019 Digital Image. The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence.

Rudolf Stingel in der Fondation Beyeler

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Rudolf Stingel, dem die Fondation Beyeler in Riehen vom 26. Mai bis 6. Oktober in neun Sälen eine One-Man-Show mit 30, zumeist grossformatigen, oft raumfüllenden Werken ausrichtet, wurde 1956 in Meran geboren. Er lebt und arbeitet seit 1987 vor allem in New York. Sam Keller, der Direktor der Fondation Beyeler, bezeichnete Stingel bei der Vorstellung der Ausstellung für die Medien als «Superstar». Er habe, heisst es in einem Pressetext, «wie kaum ein anderer Künstler seiner Generation … den Begriff dessen erweitert, was Malerei sein kann und wodurch sie definiert wird». Und weiter: «Seit … den späten 1980er-Jahren erkundet er die Möglichkeiten und medienspezifischen Grenzen im Wechselspiel künstlerischer Verfahren, Materialien und Formen.» Tatsächlich ist die Fülle der verwendeten künstlerischen Techniken eindrücklich. Stingel beherrscht die fotorealistische ebenso wie die abstrakte Malerei. Als
Hände
Malgrund verwendet er oft die Leinwand, aber auch Kunststoffplatten. Seine Werke bestehen manchmal aus Teppichen, mit denen er ganze Räume auskleidet. Er lässt das Publikum an seinen Werken mitarbeiten. Es soll Fuss- oder Handspuren auf Teppichen hinterlassen oder Kritzeleien auf Wände ritzen. (In der Riehener Ausstellung ist eine solche Mitarbeit nicht vorgesehen. Dreisprachig werden Besucherinnen und Besucher gewarnt: «Bitte die Kunstwerke nicht berühren.») Der Parcours durch die von Udo Kittelmann, dem Direktor der Berliner Neuen Nationalgalerie, zusammen mit dem Künstler kuratierte Schau wird bestimmt durch die Diversität der Exponate. Stingel bearbeitet ein Thema gern in Serien. Anderseits imponiert er gern mit kraftvollen, zuweilen auch einschüchternden, den ganzen Raum usurpierenden Installationen. So liess er zum Beispiel einen ganzen Raum mit Isoliermaterial auskleiden, das zuvor mit Rillen und Ritzen versehen und mit Silberfolie überzogen wurde. Mitten im Raum lasten auf einem, ebenfalls silbern überzogenen Tisch 96 Exemplare des zur Ausstellung erschienenen Künstlerbuches im Grossformat und jeweils dreieinhalb Kilo schwer. Das Buch, erläuterte Kurator Kittelmann, sei als Werkverzeichnis, das Abbildungen praktisch aller
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bisherigen Arbeiten Stingels enthält, ein eigenständiges Exponat. Seine Vorstellung, dass die Besucher im Lauf der Zeit für Unordnung auf dem Bücher-Altar sorgen dürften, erscheint angesichts der feierlichen Stimmung, die der Raum evoziert, ziemlich gewagt. In der Summe darf man Sam Kellers Intention loben, dem Publikum der Fondation Beyeler immer wieder wichtige Exponenten des zeitgenössischen Kunstschaffens vorzustellen. Rudolf Stingel als «Superstar» zu bezeichnen, halten wir allerdings für weit überzogen, nicht zuletzt, weil Vieles, was er uns zeigt, zwar grossen Eindruck macht, aber nicht wirklich neuartig ist. Zu bewundern ist hingegen, die Sicherheit, mit der er Materialien und Maltechniken beherrscht.

Zur Ausstellung erschien ein Künstlerbuch. Es besteht ausschliesslich aus Abbildungen von einzelnen Werken und Installationen, deren Abfolge Rudolf Stingel selbst bestimmt hat.
Kittelmann, U. (Hrsg. für die Fondation Beyeler, Riehen/Basel): Rudolf Stingel. Berlin 2019 (Hatje Cantz Verlag), 380 Seiten, CHF 65.00/€ 58.00

Illustrationen aus der Ausstellung. © 2019, Jürg Bürgi, Basel. Unten: Untitled (2018) © Rudolf Stingel, Foto: John Lehr.

Der junge Picasso in der Fondation Beyeler

Auf der Suche nach einer eigenen Bildsprache eignete sich Pablo Picasso (1881-1973), systematisch gefördert von seinem Vater, in den 1890er-Jahren das ganze Spektrum der damals gängigen malerischen Fertigkeiten an. Obwohl überaus erfolgreich, verliess der junge Künstler um die Jahrhundertwende die vorgespurte Karriere und begann, sich malerisch eine eigene Welt zu schaffen. Dabei erlebte Picasso seine Entwicklung durchaus krisenhaft. Der Selbstmord seines Freundes Carles Casagemas, den er auf dem Totenbett porträtierte, setzte ihm schwer zu. Und als er sich 1901, bleich und im schwarzen Mantel, vor blauem Hintergrund selbst darstellte, malte er einen jungen Anarchisten, der aussah, als müsse er das ganze Elend der Welt schultern. In Zusammenarbeit mit den Musées d’Orsay et de l’Orangerie sowie dem
Autoportrait 1901 (Ausschnitt, klein)
Musée Nationale Picasso in Paris zelebriert die Fondation Beyeler in Riehen vom 3. Februar bis zum 26. Mai 2019 die melancholische «blaue» und die auf den definitiven Umzug nach Paris folgende mehr Zuversicht ausstrahlende «rosa» Periode im Werk des jungen Picasso. In seiner chronologisch angelegten Schau zeigt Kurator Raphaël Bouvier in einmaliger Ausführlichkeit 80 grossartige Zeugnisse aus den sechs entscheidenden Schaffensjahren von 1901 bis 1906. Besucherinnen und Besucher können den Wandel vom virtuosen Maler, der sich alle gängigen Stilformen zu eigen machte, zum eigenständigen Künstler nachvollziehen. Besonders eindrücklich ist der Weg im Multimedia-Raum anhand von Selbstporträts zu sehen, die in jenen sechs entscheidenden Jahren entstanden sind – vom feurig-selbstbewussten «Yo Picasso» bis zum skulptural-reduzierten «Autoportrait» vom Herbst 1906, das den Übergang zu dem 1907 entstandenen Werk «Les Demoiselles d’Avignon» ankündigt, das als erstes kubistisches Gemälde gilt. Nicht überraschend präsentiert die Fondation Beyeler vom 13. Januar bis 5. Mai 2019 parallel zum jungen Picasso unter dem Titel «Picasso Panorama» die 30 Werke, die zum Sammlungsbestand gehören. Sie wurden mit Arbeiten ergänzt, welche die Fondation Beyeler als Dauerleihgaben hütet. Um dem Publikum den Zeitgeist der Pariser Bohème nahe zu bringen, wurde das «Café Parisien» eingerichtet (das allerdings nicht mit der von Picasso und seinen Freunden auf dem Montmartre bevorzugt frequentierten Kaschemme «Lapin Agile» zu vergleichen ist.) Jeden Mittwoch verwandelt sich das Lokal im Souterrrain des Museums in ein Variététheater, in dem unterhaltsame und artistische Darbietungen zu sehen sind. (Das ausführliche Programm ist unter der URL https://www.fondationbeyeler.ch/programm/kalender/ abrufbar.)

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und der Publikationen ist
hier zu finden (und nach Ende der Ausstellung im Archiv).

Zur Ausstellung erschienen drei Publikationen.
Hrsg. Raphaël Bouvier (Fondation Beyeler): Picasso – Blaue und Rosa Periode. Riehen/Berlin 2019 (Beyeler Museum AG/Hatje-Cantz Verlag), 304 Seiten, € 60.00/CHF 68.00. (Der Katalog ist in einer deutschen und einer englischen Ausgabe verfügbar.

Raphaël Bouvier: Picasso. Blaue und Rosa Periode. Riehen/Berlin 2019 (Beyeler Museum AG/Hatje-Cantz Verlag), 56 Seiten, € 12.00/CHF 9.80. (Der kleine Begleitband ist in einer deutschen und einer französischen Ausgabe erhältlich.)

Tasnim Baghdadi und Iris Brugger (Beyeler Museum AG): Der junge Picasso. Blaue und Rosa Periode - interaktiv. Das Kinderheft führt mit zehn unterhaltsamen Aufgaben und Spielanleitungen durch die Ausstellung. Das ausgezeichnet gelungene Heft ist kostenlos bei der Information im Eingangsbereich erhältlich.

Illustration: Pablo Picasso,Autoportrait, 1901 (Ausschnitt), Musée national Picasso-Paris © Succession Picasso/2018, ProLitteris, Zürich. Foto: © RMN-Grand Palais (Musée national Picasso-Paris)/Mathieu Rabeau

Balthus bei Beyeler

Vom 2. September 2018 bis 1. Januar 2019 zeigt die Fondation Beyeler in Riehen – zum ersten Mal in der deutschsprachigen Schweiz – eine grosse Retrospektive auf das Werk des deutsch-französischen Künstlers Balthazar Klossowski de Rola, genannt Balthus (1908 bis 2001). Der wegen seiner lasziv inszenierten jungen Mädchen umstrittene Exzentriker wird dem Publikum von Kurator Raphaël Bouvier und Kuratorin Michiko Kono als «Künstler des Widerspruchs» (oder wohl eher der Widersprüchlichkeit) «und der Irritation» vorgestellt. Tatsächlich zeigen die 40 ausgestellten Bilder, die für das Gesamtwerk von lediglich 340 Gemälden als repräsentativ gelten,
Balthus_Le-Roi-des-chats_klein
ein grosses Spektrum von Sujets: Strassenszenen, Landschaftsbilder, Porträts, Interieurs. Im Zentrum steht dabei die grossformatige «Passage du Commerce Saint-André», die 1952 bis 1954 gemalt wurde und als Dauerleihgabe zur Sammlung der Fondation Beyeler gehört. Die rätselhafte, raffiniert gebaute Szene zeigt acht Personen und einen Hund, die – nicht unähnlich einem Video-Still – in ihren Bewegungen eingefroren scheinen. Typisch für Balthus ist die Raffinesse des Bildausschnitts. Scheinbar spontan werden Figuren an- und Füsse abgeschnitten: ein Bild wie eine Lomografie. Balthus war Autodidakt, hoch begabt, wie schon Rainer Maria Rilke feststellte, der den Sohn seiner Geliebten Else Kosslowski nach Kräften förderte. Mit 16, zusammen mit Mutter und Bruder wieder in Paris, begann er auf Anraten des Familienfreundes Pierre Bonnard im Louvre alte Meister zu kopieren, später malte er in der Toskana Bilder von Frührenaissance-Künstlern nach. Dies alles ist, folgt man den Balthus-Experten, im Werk zu sehen. Unbestritten ist, dass die Malerei keinem Stil der Moderne zuzuordnen ist. Balthus malte gegenständlich, wenn seine Freunde, darunter Pablo Picasso, die Möglichkeiten der Abstraktion erprobten oder dem Surrealismus frönten. Nach einer ersten Einzelausstellung 1934, die ein totaler Misserfolg war, gewann er als Porträtist ein gewisses Renommee. Gleichzeitig pflegte er sein Image als Aussenseiter, der sich dank reicher Freundinnen und Freunde einen extravaganten Lebensstil leisten konnte. Die Selbstinszenierung, zu der auch ein erfundener Grafentitel gehörte, seine Bildnisse pubertierender Mädchen und die übrigen, oft rätselhaften Sujets sowie sein handwerkliches Geschick wurden zu seinen Markenzeichen. Wer die Ausstellung in der Fondation Beyeler besucht, erhält die Möglichkeit, sich über die Qualität dieses eigenartigen Œuvres ein Urteil zu bilden und sich die Frage zu stellen, ob es auch jenseits der Provokation weiter Bestand haben wird.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid entstanden ist, und des sehr ansprechend gestalteten Katalogs
ist hier nachzulesen.

Illustration: Le Roi des chats (Selbstporträt 1935) © Balthus, Foto Etienne Malapert, Musée cantonal des Beaux-Arts des Lausanne

Francis Bacon und Alberto Giacometti in der Fondation Beyeler

Buchumschlag
Die Gegensätze könnten nicht grösser sein: Hier der Bergeller Bergler Alberto Giacometti (1901-1966), Sohn einer Künstlerfamilie, dort Francis Bacon (1909 – 1992) in Dublin geboren, Sohn eines gewalttätigen ehemaligen Berufsoffiziers. Vom 29. April bis zum 2. September 2018 hängen und stehen 100 ihrer Werke in neun Räumen der Fondation Beyeler in Riehen und warten darauf, dass das Publikum die «erstaunlichen Gemeinsamkeiten» entdeckt, denen die Kuratorin Catherine Grenier, Direktorin der Fondation Giacometti in Paris, und die Kuratoren Ulf Küster von der Fondation Beyeler, und Michael Peppiatt, Bacon-Kenner und Freund des Künstlers, auf die Spur gekommen sind. Bei einem Rundgang durch die neun, je einem Thema gewidmeten Räume, werden tatsächlich einige Gemeinsamkeiten sichtbar, doch das Gegensätzliche wiegt schwerer. Gemeinsam war den beiden Künstlern zum Beispiel, dass sie von der Malerin Isabel Rawsthorne fasziniert waren. Gemeinsam war beiden auch, dass sie sich mit der Darstellung von Figuren im Raum befassten und sich dabei käfigartiger Gebilde bedienten. Und eine weitere Gemeinsamkeit war ihre Vorliebe für die Abbildung des menschlichen Gesichts, wobei sie sich beide weniger der Abbildung der Natur als vielmehr der Darstellung des seelischen Befindens verschrieben. In vielen anderen Belangen waren die Gegensätze dagegen unüberbrückbar. Giacometti zeigte seine Modelle – oft Menschen, die ihm nahestanden – immer in würdevoller Menschlichkeit, während Bacon in die abgebildeten Personen seine eigene Zerrissenheit und Lebensqual integrierte. Unterschiedlich war natürlich auch die bevorzugte Technik: Giacometti war in erster Linie Bildhauer, während Bacon ganz der Malerei zugewandt ist. Bacon malte farbig, oft leuchtend farbig, während Giacomettis Werk von Grau- und Brauntönen dominiert wird - auch seine Malerei! Es ist unser erster Eindruck, noch nicht das letzte Wort: Auf die Art, wie Bacons und Giacomettis Werke einander gegenüber gestellt werden, könnte man das Œuvre vieler anderer Künstlerinnen und Künstler konfrontieren und dabei Gemeinsamkeiten sichtbar machen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass auf die Ausstellung nicht ein gemeinsames Plakat – zum Beispiel mit dem Motiv des grossartig gestalteten Katalog-Umschlags – hinweist, sondern zwei. Dabei wird nur in der Schriftzeile eine Gemeinschaftsschau affichiert – «Giacometti Bacon» zeigt die Gipsversion des «Homme qui marche II» und «Bacon Giacometti» das «Portrait of Michel Leiris». Aber sicher ist allemal: Wer nicht auf die behaupteten Gemeinsamkeiten fokussiert, sondern eine reich bestückte und klug aufgebaute Doppel-Ausstellung erwartet, kommt auf jeden Fall auf seine Rechnung. Vor allem die Fülle der Werke Alberto Giacomettis aus der Pariser Fondation Giacometti ist überwältigend. Und auch die Möglichkeit, mehrere von Bacons Tryptichons am gleichen Ort zu sehen, ist einzigartig.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und eine Würdigung der begleitenden Publikation ist
hier zu finden.

Zur Ausstellung erschien eine reich illustrierte Publikation in je einer deutschen und englischen Ausgabe.
Grenier, C., Küster, U., Peppiatt M. (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Bacon-Giacometti. Riehen/Berlin 2018 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 204 Seiten, € 58.00/CHF 62.50
Illustration: Umschlag des Ausstellungskatalogs.

Paul Klee – Die abstrakte Dimension in der Fondation Beyeler

Wer bisher glaubte, das riesige, oft ausgestellte Werk des Malers und Kunstlehrers Paul Klee (1879-1940) biete keine Überraschungen mehr, darf sich vom 1. Oktober 2017 bis 21. Januar 2017 in der Fondation Beyeler in Riehen eines Besseren belehren lassen. Anhand von 110 Bildern aus allen Schaffensperioden demonstriert Kuratorin Anna Szech unter dem Titel «Paul Klee - Die abstrakte Dimension» die lebenslange Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Gegensatz von Gegenständlichkeit und Abstraktion. Während sich viele seiner Zeitgenossen – Kasimir Malewitsch (1878-1935) und Wassily Kandinsky (1866-1944) reklamierten zum Beispiel beide die Erfindung für sich – verbissen stritten, hielt sich Paul Klee abseits und bewegte sich leicht und spielerisch auf dem polemisch verminten Gelände. Es ist sicher nicht falsch zu behaupten, dass Klees Fähigkeit, auch in abstrakten Gemälden in Farben und Formen Hinweise auf Gegenständliches zu geben und sie so lesbar zu machen, zu seinem Erfolg beitrug.
Porträt aus der Ausstellung
Die Ausstellung, welche sich über sieben Säle erstreckt, zeigt in chronologischer Folge und nach thematischen Werkgruppen geordnet, Klees Arbeit im Spannungsfeld von figurativer und abstrakter Malerei beginnt in München, wo er 1910 schnell Anschluss an die Künstlerszene fand, in der Franz Marc und Wassily Kandinsky den Ton angaben. Der junge Klee liess sich allerdings nicht vereinnahmen. Er kennt auch die Pariser Avantgarde und war von Paul Cézanne ebenso beeindruckt wie von Paul Matisse und Pablo Picasso. Und besonders faszinierten ihn die Farbfeld-Bilder von Robert Delaunay. Für sein späteres Werk von elementarer Bedeutung erweist sich die Reise nach Tunesien, die er 1914 vor dem Kriegsausbruch mit den Freunden August Macke (1887-1914) aus München und Louis Moilliet (1880-1962) aus Bern unternahm. Es ist faszinierend in der Ausstellung zu verfolgen, wie sich der junge Klee zuerst den Formen und dann den Farben zuwendet. Auf der Tunesienreise notiert er euphorisch im Tagebuch: «Die Farbe hat mich. … Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.» Der Erste Weltkrieg – die Freunde Macke und Marc fallen 1914, bzw. 1916 – macht dem Überschwang ein Ende. «Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute), desto abstrakter die Kunst», bemerkt er in dieser Zeit, und fährt fort, «während eine glückliche Welt, eine diesseitige Kunst hervorbringt.» Ein faszinierender Gedanke, dass die Abstraktion dem Jenseitigen, will wohl sagen: der Seelenwelt zuzuordnen ist, während das Bodenständige einer heilen Welt vorbehalten ist. Dürfen wir annehmen, dass sich der in Bern aufgewachsene Paul Klee, der 1916 als Deutscher eingezogen wurde, aber vom Frontdienst verschont blieb, gegen die Schrecken wehrte, indem er während der Kriegsjahre gegenständlich malte: Auf den ausgestellten Werken sind Gärten, Häuser, Kirchen gut erkennbar. Der grösste Raum ist dem Jahrzehnt 1921 bis 1931 gewidmet, in dem Klee nicht nur malte, sondern Staatlichen Bauhaus in Weimar und später in Dessau als Meister lehrte. Auch während dieser sehr intensiven und fruchtbaren Schaffensperiode sind Gegenständliches und Abstraktes immer neben einander als «reichblühender farbiger Vielklang» präsent. Am Ende der zwanziger Jahre und zu Beginn der dreissiger Jahre werden Reisen nach Ägypten und Italien in ähnlicher Weise wie der Aufenthalt in Tunesien zu wichtigen Inspirationsquellen. Sehr eindrücklich sind die pointillistischen Mosaikbilder, die nur sehr selten als Serie gezeigt werden können. Den Schluss der überaus eindrücklichen Schau, die von der Begeisterung und der Expertise der Kuratorin durchdrungen ist, bilden Werke aus der Spätzeit, in der – gleichsam im Schlussspurt – über 2000 Bilder entstanden, die von Zeichen und Buchstaben geprägt sind, in denen aber immer wieder auch menschliche Gesichter und Gestalten erkennbar sind.

Illustration: Paul Klee (Ausschnitt), fotografiert von Felix Klee, 1921 in Possenhofen. © Klee-Nachlassverwaltung, Bern

Zur Ausstellung erschien in einer deutschen und einer englischen Ausgabe eine Publikation mit Beiträgen von Anna Szech, Teodor Currentzis, Fabienne Eggelhöfer, Jenny Holzer, Regine Prange und Peter Zumthor.
Szech, Anna (Hrsg.): Paul Klee – Die abstrakte Dimension. Riehen/Berlin 2017 (Fondation Beyeler/Hatje-Cantz Verlag). 236 Seiten, CHF/EUR 62.50.


Claude Monet in der Fondation Beyeler

Monet Porträt
Zu ihrem 20. Geburtstag schenkt die Fondation Beyeler in Riehen dem Publikum eine opulente Werkschau des besonders beliebten Impressionisten Claude Monet. Kurator Ulf Küster begnügt sich allerdings zum Glück nicht mit einer oberflächlichen Präsentation des Seerosen- und Landschaftsmalers. Vielmehr zeigt er Monet als einen grandiosen, seines immensen handwerklichen Könnens allzeit bewussten und innovativen Künstler. Die Ausstellung beleuchtet die Entwicklung seines Werks in den mittleren, malerisch besonders ergiebigen Schaffenszeit – von den 1880er Jahren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – und demonstriert, wie konsequent sich Monet von der Weichzeichner-Welt des Impressionismus auf die Abstraktion hinbewegte. Es ist faszinierend, an den 62, thematisch gruppierten Werken die zahlreichen Experimente mit wechselnden Licht- und Farbenspielen zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten zu beobachten. Auch Äusserlichkeiten fallen den Betrachtenden auf: eine erstaunliche Gleichförmigkeit der Bildformate - die meisten 60 bis 70 Zentimeter hoch und 80 (selten 100) Zentimeter breit – und die heute schwülstig wirkenden vergoldeten Rahmen. Die Fondation Beyeler verdient hohes Lob, dass sie die berühmte Darstellung der Kathedrale von Rouen im Morgenlicht (La Cathédrale de Rouen: Le Portail, Effet du Matin von 1894), die zu ihrer Sammlung gehört,
Rouen
neu und schlicht rahmen liess. Der Unterschied zu den umgebenden Bildern ist frappant, und man würde sich gern vorstellen, wie sich andere Gemälde in neuen Rahmen präsentieren würden. Würde die magische Leuchtkraft ebenso viel stärker zur Geltung kommen? Diese magische Leuchtkraft – als ob der Künstler in seine Werke unsichtbare Leuchten eingebaut hätte – sowie die faszinierende Gestaltung der Schatten sind Elemente, welche in dieser Schau besonders schön zur Geltung kommen. Natürlich gehört auch das riesige Seerosen-Bild «Le Bassin des Nymphéas» aus der Sammlung der Fondation Beyeler zur Ausstellung. Als ein Höhepunkt des Alterswerks, zwischen 1917 bis 1920 entstanden, bildet es nicht den Auftakt, sondern den Schlusspunkt einer rundum gelungenen Schau. Sie verdient, nicht nur als Publikumsmagnet im Jubiläumsjahr wahrgenommen, sondern auch als kuratorische Glanzleistung anerkannt zu werden.
Zur Ausstellung erschien ein traditionell und sorgfältig gestalteter Katalog mit sechs kenntnisreichen Essays und erläuternden Texten und 130 Abbildungen:
Ulf Küster (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Monet. Riehen/Berlin 2017 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 180 Seiten. CHF 62.50/€ 58.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gibt es
hier.

Illustrationen: Foto-Porträt von Claude Monet in der Ausstellung (Ausschnitt).
«La Cathédrale de Rouen» (1894) im neuen Rahmen. Foto © Jürg Bürgi 2017

Roni Horn in der Fondation Beyeler

In sechs Räumen zeigt die Fondation Beyeler in Riehen vom 2. Oktober 2016 bis zum 1. Januar 2017 an beispielhaften Arbeiten aus den letzten 20 Jahren das Werk der amerikanischen Künstlerin Roni Horn. 1955 in New York geboren, wuchs sie im Rockland County, im südlichsten Zipfel des Staates New York auf. Ihr Kunststudium an der Rhode Island School of Design schloss sie 1975 mit dem Bachelor ab, bevor sie an der Yale University in New Haven ihr Master-Studium mit Schwerpunkt Skulptur aufnahm, reiste sie 1975 als 20-jährige zum ersten Mal nach Island. Diese Reise und zahlreiche weitere Aufenthalte auf der Vulkaninsel im Nordatlantik waren prägend für Horns künstlerische Entwicklung. Roni Horn ist ungeachtet ihrer Ausbildung zur plastischen Künstlerin in erster Linie Zeichnerin. Dabei benutzt sie den Zeichenstift nicht nur als künstlerisches Werkzeug, sondern auch als Werkzeug
Th Rose Prblm
der Selbstvergewisserung. Das Zeichnen ermöglicht ihr, neue Ideen auszuprobieren, bevor sie sie dann umsetzt – zum Beispiel als eine Art Collage – wie die imposante Galerie von zehn abstrakten Bildern in der Ausstellung zeigen. Ausgangsmaterial sind bei allen mehrere ähnliche Zeichnungen, die dann sorgfältig mit dem Messer zerschnitten und neu zu einem Grossformat zusammengesetzt wurden. Eröffnet wird die Schau aber durch die Foto-Installation «a.k.a.» von 2008/09, eine Sammlung von 30 paarweise präsentierten Porträts der Künstlerin als Kind, Jugendliche und Erwachsene. Da die Bilder nicht chronologisch geordnet sind, bleibt immer ein Rest an Zweifel, ob es sich auf den Fotos immer um die gleiche Person handelt. Besonders beeindruckend fanden wir die neusten Papierarbeiten, die unter dem Titel «Th Rose Prblm» auf vielfältige Weise und in grosser Farbigkeit an Gertrude Steins (1874-1946) meistzitierte Gedichtzeile «Rose is a rose is a rose is a rose» erinnern – und wohl auch als Hommage an die Mutter aller Avantgardisten gedacht. Horn weitet Steins Vorgabe aus, indem sie weitere Redewendungen verwendet, in denen das Wort «Rose» vorkommt. Der Titel, dem sie, wie im Hebräischen, die Vokale bis auf das O in der Rose entzieht, ist ein zusätzliches Aperçu. Im dritten Raum zeigt Kuratorin Theodora Vischer, welche die Schau in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin gestaltete, 15 grossformatige Fotografien des Wassers der Themse. «Still Water (The River Thames, for Example)» entstand 1999. Unterhalb der Bilder platzierte Fussnoten fordern die Betrachtenden auf, nicht nur zu schauen, sondern auch nachzudenken: «Is water sexy?» wird da etwa gefragt, oder es werden Anekdoten über Vorkommnisse in und an der Themse zitiert – alles in einem Tonfall, als ob man einem Selbstgespräch der Künstlerin zuhören würde. Der grösste Raum der Ausstellung ist drei zylindrischen Glasskulpturen-Paaren mit dem Titel «Water-Double» vorbehalten.
Water Double
Die viele Tonnen schweren Gebilde sind alle gleich gross, aber von verschiedener Farbe. Sie wirken mächtig durch ihre Masse und vermitteln paradoxerweise gleichzeitig den Eindruck von Zerbrechlichkeit – weil wir Glas spontan als fragil erleben. Von allen Exponaten lässt sich bei dieser Arbeit am ehesten die Inspiration durch die isländische, von Wasser, Eis und Vulkanasche geprägte Landschaft vorstellen. An den Schluss der Schau haben die Ausstellungsmacherinnen eine zweite, ganz neue und erstmals gezeigte Porträtarbeit gestellt. Der Raum präsentiert 67 einzelne, in Gruppen arrangierte Fotografien von Objekten, die Roni Horn zwischen 1974 und 2015 zum Geschenk gemacht wurden. Es sind Bücher darunter, aber auch ein Liebesbrief, das versteinerte Ei eines Dinosauriers oder ein ausgestopfter Schwan. In der Summe, ist die Künstlerin überzeugt, lässt sich dieses Inventar von Geschenken und Mitbringseln auch als Selbstporträt lesen.

Im Verlauf der Ausstellung erscheint eine Broschüre mit einem Gespräch Theodora Vischers mit der Künstlerin und Installationsaufnahmen der Ausstellung. Zudem steht ein Heft mit Saaltexten zur Verfügung.

Illustrationen: Oben: «Th Rose Prblm» (2015/2016), unten: «Water Double, v 1-v. 3 (2013-2016). Fotos aus der Ausstellung © Jürg Bürgi, Basel.

Der Blaue Reiter in der Fondation Beyeler

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Unter dem Titel «Kandinsky, Marc und Der Blaue Reiter» inszeniert Kurator Ulf Küster vom 4. September 2016 bis 22. Januar 2017 in der Fondation Beyeler in Riehen eine wunderbare Schau über eine kurze Epoche der Kunstgeschichte, die zuerst für die Entstehung der Moderne und dann – wie sich nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte – für die Versöhnung der Deutschen (und sicher auch vieler Schweizerinnen und Schweizer) mit der bis dahin unverstandenen «abstrakten Kunst» eine herausragende Bedeutung erlangte. Die Ausstellung beginnt mit farbenfrohen Landschaften aus Murnau, dem inspirierenden Sommersitz Gabriele Münters, der ab 1909 zu einem Treffpunkt der Künstlerpaare Münter-Kandinsky und von Werefkin-von Jawlensky wurde und, zwei Jahre später, auch von Franz und Maria Marc, die im nahen Sindelsdorf logierten. Dort entstand nach einem Krach in der «Neuen Künstlervereinigung München» (NKVM) das Konzept für den Almanach «Der Blaue Reiter», als Plattform für einen offenen, möglichst wenig durch Regeln eingeengten Neuanfang der Künste. Zu Recht dient die Publikation in der Ausstellung als Dreh- und Angelpunkt: In einem Kabinett gibt es die Möglichkeit, in einer digitalisierten Ausgabe des Almanachs blätternd das Konzept eines Malerei, Literatur und Musik umfassenden Gesamtkunstwerks zu erleben und gleichzeitig einzelne, im Buch abgebildete Exponate in natura zu sehen. Ganz im Sinn der Grundgedanken des «Blauen Reiters» zeigt die Ausstellung die 70 Werke der Künstlerfreunde in einem Mit- und Nebeneinander auf ihrem je eigenen Weg von der figurativen zur abstrakten Malerei.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gib es
hier.

Zur Einführung in die Ausstellung dient im ersten Saal eine animierte Wandprojektion, mit der die Künstlerinnen und Künstler und ihre Wirkungsstätten vorgestellt werden. Zudem bietet die Fondation Beyeler ein vielfältiges Begleitprogramm mit Workshops, Vorträgen, Lesungen und einem Konzert und Führungen.

Zur Ausstellung erschien in einer deutschen und einer englischen Ausgabe ein sehr schön gestalteter Katalog: Ulf Küster (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Kandinsky, Marc und Der Blaue Reiter. Riehen/Ostfildern 2016 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 188 Seiten, CHF 62.50/€58.00

Alexander Calder mit Fischli/Weiss in der Fondation Beyeler

Es war die Idee der Kuratorin Theodora Vischer, das Werk von Alexander Calder (1898-1976), dem amerikanischen Altmeister des prekären Gleichgewichts, mit dem Schaffen des ebenfalls von der Equlibristik faszinierten Schweizer Künstler-Duos Peter Fischli (geb. 1952) und David Weiss (1946-2012) in einer gemeinsamen Schau zusammenzuführen. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel dauert vom 29. Mai bis zum 4. September 2016. Zu sehen sind 100 Exponate in 12 Räumen. Der Parcours beginnt im Foyer mit einer – distanzierten – Begegnung der Kinderkostüme von Ratte und Pandabär, den Alter Egos von Fischli und Weiss mit Calders «Otto’s Mobile» von 1952. Und im ersten Saal geht die Konfrontation weiter: Im Vordergrund sind Werke aus der vergleichsweise bodenständigen Serie «Walls, Corners, Tubes», die teils aus ungebranntem Lehm, teils aus
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schwarzem Gussgummi gefertigt sind. Sie stehen im Kontrast zu Calders filigraner Seiltanz-Installation «Tightrope» von 1936. Die folgenden vier Räume sind ganz Calder vorbehalten, dem, wie sich zeigt, in der Ausstellung eindeutig der Lead zukommt. Das zeigt sich besonders am grössten Saal, in dem zwei Dutzend Skulpturen und Mobiles zu einem imposanten Panorama der besonders fruchtbaren Schaffenszeit von 1930 bis 1950 zusammengestellt sind. Inspiriert wurde dieser zentrale Teil der Ausstellung und die Auswahl der gezeigten Werke von einer Präsentation am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, die Calder 1950 selbst inszeniert hatte. Davor ist von Fischli/Weiss ihr populärstes Werk, der Film «Der Lauf der Dinge» zu sehen – zum ersten Mal zusammen mit einer Vitrine von Überbleibseln der ebenso witzigen wie faszinierenden Kettenreaktion. Der Raum daneben vermittelt unter dem Titel «Equilibres (Stiller Nachmittag)»anhand von Schnappschüssen von waghalsigen Gleichgewichts-Arrangements aus Alltagsgegenständen, wie die Idee zum «Lauf der Dinge» gewachsen ist. Etwas abseits der Fondation, auf einem Pflanzblätz am Bachtelenwegli, ist ein Projekt auferstanden, das Fischli/Weiss 1997 in Münster im Rahmen einer Skulpturenausstellung erstmals realisiert hatten: ein sorgfältig angelegter
Rüebli
Bauerngarten mit Blumen und Gemüse,mit Sitzplatz und Geräteschuppen. Es fällt nicht schwer, darin das ideale Gleichgewicht zwischen Natur und menschlichem Handeln zu erkennen. Leider ist die Gewöhnlichkeit des Projekts so gross, dass – wie Patrick Frey schon vor knapp 20 Jahre formulierte – «die künstlerische Arbeit … als solche von vielen Besucherinnen und Besuchern gar nicht erkannt wird». In Riehen kommt erschwerend hinzu, dass es mangels angemessener Signalisation besonderer Anstrengung bedarf, den Garten zu finden.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs folgt demnächst
hier.

Zur Ausstellung ist ein sehr schön gestalteter und überaus informativer Katalog erschienen: Theodora Vischer (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Alexander Calder & Fischli/Weiss. Museumsausgabe: Riehen 2016 (Fondation Beyeler), Buchhandelsausgabe: Ostfildern (Hatje Cantz Verlag), 272 Seiten CHF 62.50 (Museumsausgabe). Der Katalog ist sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache verfügbar.

Illustrationen: Alexander Calder: «Two Acrobat» 1929 (oben); Fischli/Weiss: «Stiller Nachmittag» 1994 (unten). © Jürg Bürgi, 2016 (Bilder in der Ausstellung fotografiert).

Jean Dubuffet in der Fondation Beyeler

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«Ich finde, Porträts und Landschaften müssen einander ähneln», schrieb Jean Dubuffet (1901-1985), «das ist mehr oder weniger dasselbe.» Mit dem Titel «Metamorphosen der Landschaft» nimmt Raphaël Bouvier den grossen Anreger der modernen Kunst und Erfinder der «Art brut» beim Wort. Mit rund 100 Werken aus allen künstlerischen Schaffensphasen, von den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis zu seinem Tod, belegt die grosse Retrospektive, die vom 31. Januar bis zum 8. Mai 2016 in der Fondation Beyeler in Riehen zu sehen ist, wie sehr Dubuffets Bilder – egal, ob sie als Köpfe, Körper, Äcker oder urbane Häuser-Haufen in Erscheinung treten – immer als Landschaften zu lesen sind. Die imposante Ausstellung demonstriert zudem, wie sich im Lauf der Zeit seine Farbskala veränderte: Auf Bilder mit lauten Farben folgten Gemälde, auf denen erdige und dunkle Töne dominierten, bevor in den 1960er- und 1970er-Jahren, der für Dubuffet zum Markenzeichen gewordene Hourloupe-Zyklus mit einer trikoloren Palette und schwarz umrandeten Farbflächen folgte. Sie prägt auch den Höhepunkt der Schau in Riehen: Im grössten Ausstellungssaal sind 60 Elemente des riesigen Gesamtkunstwerks «Coucou Basar» zu sehen, das als «animiertes Gemälde» aus Kulissen-Teilen und kostümierten Figuren bestand und Malerei, Skulptur, Theater, Tanz und Musik zu einem grandiosen Spektakel vereint. Die beiden einzigen Kostümfiguren, die aus konservatorischen Gründen noch verwendet werden dürfen, haben während der Ausstellung zweimal wöchentlich – mittwochs um 15.00 und 17.00 Uhr, sowie sonntags um 14.00 und 16.00 Uhr – einen Auftritt. Dubuffet verdankt seinen Ruf als einer der ganz grossen Anreger der Avantgarde aber nicht bloss der Vielfalt seines künstlerischen Schaffens, sondern vor allem seiner ganz vorurteilsfreien Verwendung von naturgegebenem Material. Baumrinde, Laub und Schmetterlingsflügel collagierte er zu einzigartigen Gemälden und aus bemalten Schwämmen konstruierte er kleine Plastiken. Auf seinen Leinwänden spachtelte er die Farbe zu skulpturalen Haufen, er klebte, kratzte und schabte. Bis in die Mitte seiner Jahre schwankte der vielseitig begabte Jean Dubuffet, Sohn einer begüterten Weinhändler-Familie aus Le Havre, zwischen Lebensentwürfen als Künstler und Kaufmann. Seit einer Reise in die Schweiz, kurz nach Kriegsende war, er von der kreativen Kraft psychisch Kranker fasziniert. Er fand dafür die Bezeichnung «Art brut», um damit die Spontaneität und Ursprünglichkeit ihrer Arbeiten deutlich zu machen. «Die wahre Kunst», äusserte er einmal «ist immer da, wo man sie nicht erwartet.» Das Wilde, Anarchische zog ihn an. Zeitweise pflegte er enge Kontakte zu den Surrealisten. Sein grösster Held in der Literatur war der Arzt und Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline (1894-1961), der sich seit dem Ende der 1930er-Jahre als hemmungsloser Antisemit äusserte und sich noch kurz vor Kriegsende in Deutschland der Wehrmacht als Truppenarzt andiente. Der Verehrung Dubuffets tat dies keinen Abbruch. Gleichzeitig war er eng mit der grauen Eminenz des Literaturbetriebs, Jean Paulhan, befreundet, der während der Okkupation für die «Résistance littéraire» arbeitete – aber auch von intensiven Kontakten zu Kollaborateuren profitierte. In der Ausstellung sind diese Verwicklungen kein Thema; aber es ist sicher nützlich sie beim Betrachten von Dubuffets fulminantem Kunst-Universum mit zu bedenken. Zur Ausstellung erschien ein sehr sorgfältig gestalteter Katalog mit kenntnisreichen Texten. Das Museum bietet während der Ausstellung zudem ein reichhaltiges Begleitprogramm an. Besonders hervorzuheben sind die Bemühungen um junge Besucherinnen und Besucher, die bei zahlreichen Gelegenheiten freien Eintritt geniessen.

Raphaël Bouvier (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Jean Dubuffet – Metamorphosen der Landschaft. Riehen/Ostfildern (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag) 232 Seiten, € 58.00/CHF 62.50.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs findet sich
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Illustration: Kostümierte Figur aus «Coucou Bazar». © Bild Jürg Bürgi, 2016

Die Russische Avantgarde in der Fondation Beyeler

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Zum 100-Jahre-Jubiläum der legendären «Letzten futuristischen Gemäldeausstellung ‹0,10›», die vom 19. Dezember 1915 bis zum 19. Januar 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, sieben Künstler und sieben Künstlerinnen im «Kunst-Büro» Dobytschin in Petrograd vereinigte, versucht die Fondation Beyeler in Riehen vom 4. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016 unter dem Titel «Auf der Suche nach 0,10 – Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei» eine «kritische Rekonstruktion» der legendären Avantgarde-Schau. Hervorragend kuratiert vom amerikanischen Spezialisten Matthew Dutt, bringt die Präsentation etwa zwei Drittel dessen, was die Wirren der Revolution und die bleiernen Jahre des Stalinismus von den 154 vor hundert Jahren ausgestellten Werken übrig liessen, zusammen. Was als «Schock-Ausstellung», als die «Letzte futuristische Gemäldeausstellung» firmierte, war der zweite Versuch Iwan Punis, die zum Teil heftig zerstrittenen Kolleginnen und Kollegen zu einer gemeinsamen Präsentation ihrer Werke zu versammeln. Bereits im März 1915 hatte er die nach dem Kriegsausbruch aus Paris zurückgekehrten Gefährten in einer Ausstellungshalle der Kaiserlichen Gesellschaft zur Förderung der Künste zur «Ersten Futuristischen Gemäldeausstellung ‹Tramway V›» überredet. Sowohl die «Erste» als auch die «Letzte» machten auf der Kunstszene Petrograds erheblichen Wirbel. Ein Kritiker schrieb entsetzt: «Ich befürchte, sie alle werden schlecht enden. Die Wände dieses Raumes zeigen das Ende der menschlichen Moral, gleich danach beginnen Raub, Mord und der Weg zum Schafott». Aber auch die Künstlerinnen und Künstler gaben einander Saures. Vor allem das Paar Ivan Puni und Xana Boguslawskaja und ihr selbstbewusstes Auftreten als Organisatoren sorgte in Künstlerkreisen für heftige Ausbrüche: «Meine Beziehung zu Oxana [Boguslawskaja] ist gespannt bis an die Grenze des Erträglichen», schrieb Olga Rosanowa im Dezember 1915 dem befreundeten Dichter Alexei Krutschonych. «Es gibt dagegen keine Spannungen zwischen mir und Iwan Albertowitsch [Puni], aber die Bogulawskaja führt sich auf wie eine dumme alte Schachtel. Ausser Malewitsch steht absolut niemand auf Punis Seite.» Doch diese Verbindung hatte die nachhaltigste Wirkung. Malewitsch war der radikalste Neuerer unter den Ausstellenden. In durchaus blasphemischer Absicht hängte er sein «Schwarzes Quadrat» dorthin, wo in Russland die Hausikone hängt: zuoberst in die Ecke des Raumes. Ähnlich wie 1915 sind die Werke in der Fondation Beyeler den Künstlerinnen und Künstlern zugeordnet; anders als vor 100 Jahren, als sie dicht gedrängt in den Zimmern Galerie von Nadeschda Dobytschina hingen, dürfen die einzelnen Werke nun Raum beanspruchen.

Parallel zur «Suche nach 0,10» zeigt die Fondation Beyeler unter dem Titel «Black Sun» Werke aus der eigenen Sammlung und Leihgaben von 36 Künstlerinnen und Künstlern aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die direkt und indirekt in der Tradition von Kasimir Malewitsch stehen. So ist das ganze Haus der Fondation Beyeler bis 10. Januar 2016 ganz der russischen Avantgarde und ihrem Einfluss auf die moderne und zeitgenössische Kunst gewidmet.

Auch der umfangreiche und prächtig gestaltete Katalog unterstreicht das Gewicht, das die Fondation Beyeler ihrem einmaligen Vorhaben zuspricht. Neben Texten von ausgewiesenen Fachautoren enthält der Band wichtige, zum Teil erstmals übersetzte Dokumente zur russischen Avantgarde.
Matthew Dutt (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Auf der Suche nach 0,10 – Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei. Riehen/Ostfildern 2015 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag), 280 Seiten € 65.00. Der Katalog erscheint in deutscher, englischer und russischer Version.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs steht
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Marlene Dumas – Das Bild als Bürde

Portrait
Nach London (Tate Modern) und Amsterdam (Stedelijk Museum) erreicht die grosse Marlene-Dumas-Retrospektive «The Image as Burden» («Das Bild als Bürde») vom 31. Mai bis zum 6. September 2015 in der Fondation Beyeler ihre dritte und letzte Station. Geboren 1953 in einem ländlichen Vorort von Kapstadt – ihr Vater war Weinbauer – kam die junge Künstlerin 1976 zur weiteren Ausbildung nach Amsterdam, wo sie seither lebt und arbeitet. Marlene Dumas gilt als eine der bedeutendsten zeitgenössischen Malerinnen. Ihr Werk konzentriert sich in eigenständiger und eigensinniger Weise um die «condition humaine», um die Vielfalt menschlicher Existenz und die mannigfaltigen Umstände des Lebens. Die von der Kuratorin Theodora Vischer zusammen mit Marlene Dumas geplante Hängung in der Fondation Beyeler folgt weitgehend chronologisch dem künstlerischen Werdegang in den letzten 40 Jahren. Zu sehen sind rund 80 Gemälde und 30 Aquarelle sowie Zeichnungen, Collagen und Skizzen. Die Ausstellung beginnt mit einem Selbstporträt, dessen Titel «The Sleep of Reason» auf Francesco Goyas Radierung «Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer» anspielt, und mit dem Bildnis «The Painter».Es zeigt ein farbverschmiertes kleines Kind, das den Betrachter auf verstörende Art trotzig und aus dunklen Augenhöhlen anstarrt. In den beiden Gemälden ist das Werk gleichsam in nuce umrissen. Die Arbeitsweise: Dumas malt nach fotografischen Vorlagen, nicht nach einem lebenden Modell; das Handwerk: sorgfältige, dem Sujet angepasste Maltechnik und Farbwahl, die nur den Anschein macht, skizzenhaft zu sein; die Bildtitel: anspielungsreich und zur Interpretation einladend. «Es gibt das Bild (die Fotografie, die als Quelle dient)», erläutert Marlene Dumas, «mit dem man anfängt, und das Bild (das gemalte Bild), mit dem man aufhört, und das eine ist nicht das gleiche wie das andere. Ich wollte dem mehr Aufmerksamkeit geben, was die Malerei mit dem Bild macht, und nicht nur das in den Blick nehmen, was das Bild mit der Malerei macht.» Der Katalog zur Ausstellung enthält nicht nur die an den drei Ausstellungsorten gezeigten Exponate, sondern –neben den üblichen Erläuterungen kenntnisreicher Expertinnen und Experten – eine Fülle von Selbstzeugnissen der auch literarisch aktiven Künstlerin.
Leontine Coelewji, Helen Sainsbury, Theodora Vischer (Hrsg.): Marlene Dumas – The Image as Burden. Riehen/Basel und Ostfildern (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag). 196 Seiten, €38.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und eine Würdigung des Katalogs sind
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Paul Gauguin in der Fondation Beyeler

Gauguin 1903
Als sich Paul Gauguin 1903 auf der Marquesas-Insel Hiva Oa, seinem zweiten Fluchtort in der Südsee, selbst porträtierte, war er schon todkrank. Die Nebenwirkungen seiner Syphilis und seiner Alkoholsucht bekämpfte er mit Morphium. Mehrfach hatte er versucht, sich mit Arsen zu vergiften. Die Bilder aus dieser Zeit zeugen von der depressiven Stimmung des Malers, der sich in seinen letzten Monaten mit den strafrechtlichen Folgen seiner Streitsucht herumschlagen musste. Es ist zu loben, dass Martin Schwander und Raphael Bouvier, die Kuratoren der Ausstellung «Paul Gauguin», die vom 8. Februar bis zum 28. Juni 2015 in der Fondation Beyeler in Riehen ein halbes hundert herausragende Gemälde präsentieren, zu Beginn und zum Schluss des Parcours ausführlich über die biografischen und künstlerischen Eigentümlichkeiten Paul Gauguins informieren. Vor allem die Verbindung von Einzelwerken und ihren biografischen Begleitumstände – Erläuterungen des Künstlers, Briefzitate – ist technisch brillant umgesetzt. Das ist auch nötig, denn aus den Exponaten allein ist nicht ersichtlich, dass wir beim Betrachten der Bilder einen Spätberufenen bei der Suche nach seiner Bestimmung beobachten. Gauguin, nach einer Jugend in seinem Mutterland Peru, wurde zunächst Seemann; später lebte er mit seiner dänischen Frau und fünf Kindern als Börsenmakler in wohlhabenden Verhältnissen – bis er sich mit 35 entschloss, Maler zu werden. Der Übergang von Bourgeois zum Bohémien bedeutete Ausstieg und Abstieg in Raten. Die Ausstellung beginnt mit Werken vom Ende der 1880er Jahre, die in der Bretagne entstanden und religiösen Themen gewidmet sind. Seine Frau war schon 1884 mit den Kindern zu ihren Eltern nach Kopenhagen umgezogen.1891 machte sich Gauguin vom bretonischen Pont-Aven aus, wo er jungen Malern – darunter Pierre Bonnard – ein Vorbild war, erneut auf die Suche nach einem Sehnsuchtsort. Mit dem Erlös aus der Versteigerung seiner Werke schiffte er sich nach Tahiti ein, wo er nicht nur ein naturnahes, sondern auch ein billiges Leben zu führen hoffte. Hier entstehen seine bekanntesten Bilder, mit denen er die üppige Vegetation und die natürliche Lebensart der Menschen feiert. Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Abgeschnitten vom weit entfernten Kunstbetrieb gestaltete sich der Alltag viel schwieriger als gedacht. Zwar lebte er bald mit blutjungen Gefährtinnen zusammen, doch die Geldnot bestimmte sein Leben so sehr, dass er zuweilen gezwungen war, Aushilfsjobs anzunehmen. Zudem legte er sich alsbald mit der Kolonialverwaltung und dem katholischen Klerus an, weil er sich für die einheimischen Maohi einsetzte und sie unter anderem zum Steuerstreik anstachelte. Die Bilder sprechen nicht davon. Sie sind vielmehr Zeugnisse einer mentalen Flucht aus der Wirklichkeit. Sie evozieren Szenen aus dem täglichen Leben und aus der polynesischen Mythologie. 1893 war Gauguin, völlig mittellos und krank, gezwungen, auf Staatskosten nach Paris zurück zu reisen. Doch seine Situation besserte sich nicht: Ohne Erfolg stellte er seine Bilder aus und versuchte 1895 mit einer zweiten Auktion zu Geld zu kommen. Gleichwohl brach er im Juli 1895 erneut nach Polynesien auf. Die Arbeiten aus dieser zweiten polynesischen Schaffensperiode gipfeln im monumentalen Grossformat «Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?».Es entstand 1897/98 in nur vier Wochen als eine Art Lebensbilanz. Sein Zustand war zu der Zeit verzweifelt, seine Gesundheit ruiniert. Trotzdem arbeitete er, so gut es ging, weiter. 1901 verliess er Tahiti, um sich auf einer der 1400 Kilometer entfernten Marquesas-Inseln niederzulassen. In der Ausstellung sind sieben Bilder aus dieser Zeit zu sehen; sie zeigen bereits bekannte Motive, ohne dass sie die Intensität der früheren Arbeiten erreichen.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des sehr schön gestalteten Katalogs und der darin enthaltenen Aufsätze steht
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Gustave Courbet: Erster Avantgardist

Vom 7. September 2014 bis 18. Januar 2015 präsentiert Kurator Ulf Küster den französischen Maler Gustave Courbet (1819 bis 1877) in der Fondation Beyeler in Riehen als Vorvater der Moderne. Thematisch geordnet hängen 57 Gemälde des autodidaktisch geschulten Künstlers in acht Sälen. Zuerst fällt auf, dass die Bilder nicht, wie zu erwarten wäre, auf farbigen Wänden gezeigt werden, sondern – ganz bewusst – auf weissem Hintergrund. Der Ausstellungsmacher entschied sich nach eingehenden Farbstudien für diese Lösung, um zu betonen, dass der aus dem französischen Jura, aus Ornans in der Franche-Comté stammende Künstler «als erster Avantgardist der Kunstgeschichte» mit den Kollegen der klassischen Moderne eng verbunden ist.
Der Sohn eines reichen Grundbesitzers musste sich nie um die akademischen Traditionen seines Metiers kümmern. Er musste sich niemandem anbiedern, niemandem gefallen. Er hatte den Ehrgeiz (und wie sich zeigte auch die Fähigkeit) ganz auf sich selbst gestellt ein grosser Maler zu werden. Er studierte selbstständig die künstlerischen Traditionen, die Motive und die Techniken – um sie nach und nach hinter sich zulassen. Als junger Künstler in Paris sass er zwar fleissig im Louvre und kopierte berühmte Gemälde, doch Sicherheit erarbeitete er sich an einer langen Reihe von Selbstporträts in verschiedenen Posen. Bei diesen Arbeiten – und später in Landschaftsbildern mit Motiven aus seiner engeren Heimat – erfand er seine ganz eigene Maltechnik. Er spachtelte die Farbe mit dem Palettmesser auf die Leinwand, er nahm einen Lappen oder den Daumen zu Hilfe, um ganz eigene Effekte zu erzeugen. Seine romantisch-realistischen Natur- und Menschendarstellungen erlangen durch die radikale Farbanwendung eine eigene Qualität. Schon seine Zeitgenossen bewunderten seine Eigenständigkeit, und er erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Seine Bilder fanden reissenden Absatz. Er arbeitete wie besessen – «ein Tag, ein Bild» oder «eine Stunde, ein Bild», brüstete er sich gelegentlich – um der Nachfrage nachzukommen. Ein Modemaler war er gleichwohl nie. Viele seiner Motive waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts reine Provokationen, nicht zuletzt die erotisch aufgeladenen Frauenakte, die in seinem sagenhaften Unterleibs-Torso «L’Origine du monde» gipfelten, der erst ab 1995 öffentlich gezeigt wurde. Auch seine politischen Ansichten waren notorisch provokativ. Er weigerte sich den Orden der Ehrenlegion anzunehmen, und er liess sich 1870 von der Pariser Kommune zum Kunstkommissar ernennen. Als die Revolution scheiterte, verlor er nicht nur das Regierungsamt, sondern auch seine Reputation. Die neue Obrigkeit warf ihm vor, er habe die Schleifung der Vendôme-Säule persönlich zu verantworten. Nach Gefängnisstrafe, Plünderung seines Ateliers und Verurteilung zu den horrenden Kosten des Wiederaufbaus des Denkmals floh Courbet 1873 bei Nacht und Nebel in die Schweiz. In seiner Heimat geächtet, wirkte er – weiter revolutionär gestimmt und unermüdlich schaffend, aber depressiv und dem Alkohol verfallen – in seinen letzten Jahren in der kleinen Schweizer Kunstszene als Inspirator. Just als er die erste Tranche seiner Abzahlung zusammen hatte, starb Gustave Courbet 1877 in La-Tour-de-Peilz über dem Genfersee mit 58 an der Schrumpfleber.
(Während sich die Ausstellung in der Fondation Beyeler Courbets Aufstieg zum Praeceptor pictorum («Ich bin ein Epochenwechsel») dokumentiert, zeigt gleichzeitig das Musée d’Art et d’Histoire in Genf vom 5.9.2014 bis 4.1.2015 das Schaffen Courbets in den Jahren des Schweizer Exils.)

Der Katalog – in deutscher und englischer Version erhältlich – übernimmt die thematische Gliederung der Ausstellung in der Fondation Beyeler und vertieft die informativen Saaltexte durch kenntnisreiche Aufsätze des Kurators und weiterer Courbet-Kenner. Ulf Küster (Hrsg.): Gustave Courbet. Riehen/Ostfildern 2014 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag) 200 Seiten. CHF 62.50

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
gibt es hier

Gerhard Richter: Serien, Zyklen, Räume

Zusammen mit dem Künstler präsentiert der Kurator Hans Ulrich Obrist, derzeit Codirektor der Serpentine Gallery in London, vom 18. Mai bis 7. September 2014 Gerhard Richter in der Fondation Beyeler in Riehen als Maler, der gern und oft in Varianten denkt. Die soeben von Mäzenen dem Kunstmuseum Basel geschenkte Folge von vier (der insgesamt fünf )Versionen des Motivs «Die Verkündigung nach Tizian» von 1973 zeigt exemplarisch, wie bei den gleichzeitig entstehenden Serien der Übergang vom Figürlichen zum Abstrakten erkundet wird. Andere Bildfolgen kreisen ein bestimmtes Thema ein, indem sie – wie zum Beispiel der 1988 entstandene 15-teilige Zyklus zum «18. Oktober 1977», dem Todestag der drei Führungsfiguren der RAF – einzelne Elemente eines Ereignisses darstellen. Als Vorlagen dienen häufig Pressebilder, denen der Künstler, indem er sie vergrössert, vergröbert und bis zur Unkenntlichkeit übermalt einen neuen, eigenen Charakter verleiht. Die hervorragend präsentierte Schau versammelt über 150 Werkgruppen und Einzelstücke von 1966 bis 2014. Sie bietet einen umfassenden Überblick über ein Oeuvre, das sich in einem stetigen Wandel befindet, wobei jede Phase im Gesamtwerk ihren Platz zu behaupten weiss. Zur Ausstellung erschien ein von Gerhard Richter mitgestaltetes Katalogbuch mit Beiträgen von Hans Ulrich Obrist, Dieter Schwarz und Georges Didi-Huberman: H. U. Obrist (Hrsg.): Gerhard Richter – Bilder/Serien. Riehen und Ostfildern 2014 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag) 192 Seiten, CHF 62.50. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs steht hier zur Verfügung.

Odilon Redon in der Fondation Beyeler

Odilon Redon (1840 bis 1916) begann erst relativ spät zu malen. Er hatte ein Architekturstudium abgebrochen und auch eine Lehre im Atelier eines Historienmalers gibt er auf und bildet sich autodidaktisch weiter. Ab 1870 entwickelte er 20 Jahre lang ein düsteres, von Traum-Motiven und dunklen Symbolen bestimmtes Werk. Erst 1890, im Jahr nach der Geburt seines zweiten Sohnes, wendet er sich der Farbe zu; ab 1902 hört er ganz auf, mit Kohle zu zeichnen. Thematisch bedient er sich in dieser zweiten Schaffensperiode mit Vorliebe in der antiken Mythologie, aber auch religiöse Motive faszinieren ihn, christliche und buddhistische. Die Fondation Beyeler in Riehen widmet dem zeichnerischen und malerischen Werk dieses bedeutenden Wegbereiters der Moderne vom 2. Februar bis zum 18. Mai 2014 eine umfassende Ausstellung. Die von Raphaël Bouvier kenntnisreich eingerichtete Schau zeigt alle Facetten von Redons vielgestaltigem Oeuvre. Dabei erweist es sich, dass Redon in vielerlei Hinsicht als Vorreiter der Moderne betrachtet werden kann und seine geläufige Etikettierung als Vertreter des Symbolismus nur einen Aspekt seines Schaffens beschreibt. Seine aus Träumen destillierten Motive nehmen Elemente des Surrealismus voraus, auch an Fauvismus und Kubismus ist man erinnert, wenn man seine Bilder aus heutiger Sicht betrachtet. Es ist kein Zufall, dass Redon für viele seiner jüngeren Kollegen zum Vorbild wurde. Als Mitbegründer des «Salon des Indépendants» setzte er sich nicht nur für neue Ausstellungsmöglichkeiten ein, er öffnete seine Pariser Stadtwohnung auch als Treffpunkt junger Künstler. Eine ausführliche Besprechung der eindrücklichen Ausstellung und des sorgfältig gestalteten Katalogs steht hier zur Verfügung.
Illustration: Odilon Redon, 1894 (© Bridgeman Art Library)

Ferdinand Hodler bei Beyeler

Nicht der Schweizer «Nationalkünstler» Ferdinand Hodler (1853-1918), dessen historisierende Darstellungen über die Zeit des Zweiten Weltkriegs hinaus einen überholten schweizerischen Patriotismus bedienten, ist der Fondation Beyeler in Riehen in Zusammenarbeit mit der Neuen Galerie in New York eine grosse Retrospektive wert, sondern der alte, arrivierte Hodler, der es sich leisten konnte, ohne Rücksicht aufs Geschäft als waghalsiger Neuerer der Landschaftsmalerei die Grenzen zur Abstraktion zu testen. Die von Ulf Küster (Fondation Beyeler) und Jill Lloyd (Neue Galerie) kuratierte Schau von rund 80 Arbeiten belegt vom 27. Januar bis zum 26. Mai 2013, wie der arrivierte Maler zwischen 1913 und 1918 die grossen Themen seines Schaffens in Serien variierte: Tod und Ewigkeit, Natur und Alpenwelt, das Selbstporträt, Frauenbilder. Da Hodler ausserhalb der Schweiz heute weitgehend vergessen ist, beginnt die Ausstellung mit einem biografischen Kabinett, das neben den Lebensstationen auch das Werk des zu Lebzeiten prominentesten einheimischen
Künstlers darstellt. Besonders beeindruckend sind die Fotografien, mit denen die langjährige Sammlerin und Freundin Gertrud Dübi-Müller den beruflichen und familiären Alltag des lungenkranken alten Mannes bis zum letzten Tag dokumentierte. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Landschaftsbilder. Anders als in seinen frühen und mittleren Jahren kommt Hodler im Spätwerk mehr und mehr davon ab, von den Umrissen her zu denken. Stattdessen betont er die Farbflächen bis sich die Landschaft in horizontalen Streifen aufzulösen beginnt. Hier kündige sich die Farbfeldmalerei Mark Rothkos und Barnett Newmans an, heisst es in einem Text der Ausstellungsmacher. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Darstellungen des Leidens und Sterbens seiner krebskranken Geliebten Valentine Godé-Darel. Beim Betrachten fragt man sich, was ihn zu dieser übergriffigen Aktion getrieben haben mag. Welche Rolle spielte sein eigenes Trauma, das er erlitt, als seine lungenkranke Mutter bei der Arbeit auf dem Feld starb, und der 14-jährige ihre Leiche zusammen mit seinen Geschwistern bergen musste? Und wie schwer wog sein Wille zur provokativen Grenzüberschreitung? Irritierend wirkt sodann die Besessenheit, mit der sich Hodler mit seinem eigenen Gesicht abgab. Allein aus dem Jahr 1915 sind fünf Selbstporträts ausgestellt. Ging es ihm um die Selbstdarstellung oder um die Gestaltung von Gesichtslandschaften? Den letzten Höhepunkt der Schau bildet der «Blick in die Unendlichkeit», die bewegte Frauengruppe, die 1916 für das Zürcher Kunsthaus gemalt wurde, die heute aber im Kunstmuseum Basel hängt – weil das Bild den Bestellern seinerzeit zu monumental erschien.
Zur Ausstellung erschien ein opulent illustrierter Katalog. Jill Lloyd, Ulf Küster (Hrsg.): Ferdinand Holder. Riehen, New York, Ostfildern 2013 (Hatje Cantz Verlag) 220 Seiten; CHF 68.00.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalog steht hier.

Edgar Degas als Wegbereiter der Moderne

Edgar Degas (1834-1917) war im Kreis der Impressionisten ein überaus erfolgreicher Maler, dessen genrehafte Szenen aus der Grossstadt das Lebensgefühl der aufstrebenden Bourgeoisie bedienten, als er sich Mitte der 1880er Jahre nicht nur zu seinen langjährigen Weggefährten auf Distanz ging, sondern sich nach und nach ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Der geschäftlich sehr erfolgreiche Junggeselle begann, sich in seinem Atelier abzukapseln, was ihm den Ruf eines skurrilen Eremiten eintrug. Er stellte nur noch selten aus und konzentrierte sich auf die Weiterentwicklung seines Werks – weg von der impressionistischen gegenständlichen Feinmalerei hin zu Form- und Farbexperimenten, die er an einer kleinen Zahl von Motiven durchexerzierte. Zur forschenden Suche nach neuen Ausdrucksformen gehörte auch die Anwendung einer Vielzahl handwerklicher Techniken. Neben die Ölmalerei trat die Zeichnung ebenso wie verschiedene Drucktechniken, die Fotografie und die Bildhauerei. Er malte mit den Fingern, bearbeitete Pastelle mit Dampf und kombinierte verschiedene Pigmentformen. Kuratiert von Martin Schwander präsentiert die Fondation Beyeler in Riehen Degas’ aufregende Suche nach neuen – modernen – Ausdrucksformen nach Motiven geordnet: Tänzerinnen (die kaum je tanzen), Porträts von engen Freunden, Frauen bei der Toilette, Landschaften, Innenräume sowie Reiter und Pferde, darunter den «verletzten Jockey», eines in seiner gewagten Reduktion auf den bedrohlichen Kern der Szenerie weit voraus weisenden Werke. Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit Beiträgen von Carol Armstrong, Jonas Beyer, Richard Kendall und Martin Schwandet sowie einem Gespräch mit dem Künstler Jeff Wall.

«Calder Gallery» bei Beyeler

Unter dem Titel «Calder Gallery» beginnt die Fondation Beyeler in Riehen am 25. Mai 2012 eine langfristige Zusammenarbeit mit der Calder Foundation in New York. Nach Angaben des Museums soll damit erreicht werden, dass das umfangreiche Werk von Alexander Calder (1898-1976) permanent und «in Europa einzigartig» im Riehener Ausstellungshaus präsent ist. Ausgewählt von Theodora Vischer, sind in der aktuellen Schau Werke aus dem Nachlass von Calders jüngster Tochter, Mary Calder Rower, zu sehen. Im Entree hängt ausserdem «Ottos’s Mobile», eine stark von Joan Mirò Malerei geprägte Bewegungs-Skulptur aus dem Jahr 1952, die nicht nur die Freundschaft zwischen den beiden Künstlern belegt, sondern auch seinen immer wieder aufblitzenden Witz: «Otto mobile» tönt wie «Auto mobile» – mit dem Schlenker, dass viele Automobile von Ottomotoren angetrieben werden. Das Mobile gehört, zusammen mit der monumentalen Skulptur «The Tree», die bis nach dem Abbau von Jeff Koons’ «Split-Rocker»im Herbst, «in Wartung» ist, zur Sammlung der Fondation Beyeler. Die Präsentation der «Calder Gallery» wird mit wechselnder Besetzung für unbestimmte Zeit fortgeführt,

Plädoyer für Jeff Koons

Die Fondation Beyeler affichiert ihre Jeff-Koons-Show als «erste Einzelausstellung in einem Schweizer Museum». Ist das ein Zufall? Vielleicht mochten sich andere Kunsthäuser bisher nicht auf eine Debatte über Kitsch oder Nicht-Kitsch des Koonschen Oeuvre einlassen. Möglich, dass sie fürchteten eine Ausstellung könnte als Statement für den seit seinen Anfängen umstrittenen und seit seiner kurzen Ehe mit dem italienisch-ungarischen Porno-Sternchen Ilona «Cicciolina» Staller berüchtigten Amerikaner gewertet werden. Anderseits ist es unbestritten, dass Koons auf dem Kunstmarkt eine ganz grosse Nummer ist. Seine Produktionen erzielen auf Auktionen regelmässig Rekordpreise. Inzwischen kann die über 100-köpfige Belegschaft der Koonschen Kunstfabrik den Markt mit beachtlichen Stückzahlen beliefern – aber ohne die Nachfrage je befriedigen zu können. Im zeitlichen Umfeld der jährlichen Kunstmesse »Art Basel» garantiert die Koons-Schau dem Museum beträchtlichen Zulauf; und dem Künstler und seinen Agenten bietet sie eine zusätzliche Verkaufsplattform: Vom 13. Mai bis zum 2. September 2012 zeigt die Fondation Beyeler 48 Exponate aus fünf Werkgruppen und dazu, im Park vor dem Museum, die monumentale Blumenskulptur «Split-Rocker», der Kopf eines Schaukeltiers, halb Dinosaurier, halb Pony. Dass Theodora Vischer, eine weltweit anerkannte Spezialistin für Gegenwartskunst, die Werkschau mit grosser Ernsthaftigkeit kuratierte, und dass Direktor Sam Keller bei der Präsentation (und in Anwesenheit des Künstlers) fast verzweifelt an die Medienleute appellierte, sachlich und faktenbezogen zu berichten, werten wir als ultimativen Versuch, Jeff Koons vom Image des cleveren Selbstdarstellers und Vermarkters von Kitsch- und Glitzer-Objekten zu befreien und ihn endlich als Künstler mit Tiefgang zu etablieren. Ob das Plädoyer Erfolg hat, steht dahin. Sicher ist, dass die Schau bei Beyeler den Kunstinteressierten eine Gelegenheit bietet, sich selbst ins Bild zu setzen.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des umfangreichen Katalogs gibt es hier.

Pierre Bonnard bei Beyeler

Mit Pierre Bonnard (1867 bis 1947) stellt die Fondation Beyeler in Riehen vom 29. Januar bis zum 13. Mai 2012 einen der faszinierendsten, weil oft als blosser Kolorist missverstandenen Maler der Moderne in einer grossen Einzelausstellung vor. Kurator Ulf Küster präsentiert den Zeitgenossen von Henri Matisse (1869-1954) und Mitgründer der Künstlergruppe «Les Nabis» (Maurice Denis, Edouard Vuillard, Paul Sérusier, Henri-Gabriel Ibels und Paul Ranson), als eigenwilligen Farben-Zauberer, der manchmal Jahrzehnte brauchte, bis er ein Werk als vollendet betrachtete. Überzeugend ist die Idee, die rund 60 Werke thematisch zu ordnen, den Räumen entsprechend, die ihnen den Rahmen geben: Die Strasse, das Esszimmer, das Badezimmer, der Garten sind die Orte, an denen Bonnard seine «Abenteuer des Sehnervs» (so der Titel eines Films von Didier Baussy) am liebsten inszenierte. Der Maler war zeitlebens auf seine Kunst konzentriert. Die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche seiner Zeit, Krieg und Frieden schienen ihn nicht zu berühren. Besessen vom Bemühen, das menschliche Erlebnis des Sehens nachzubilden, lebte er in seinen Häusern gleichsam in Klausur. Er hatte eines am Unterlauf der Seine, und ein zweites in Südfrankreich, in der Nähe von Cannes, und staffierte sie seinen künstlerischen Bedürfnissen entsprechend aus. Dort malte er in seinem Atelier, wenn man den überlieferten Fotografien glauben darf, im Anzug mit Krawatte, mit einem Hut auf dem Kopf.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs gibt es hier.

Louise Bourgeois bei Beyeler

«Eine konzentrierte Auswahl» nennt die Fondation Beyeler die 20 Werke, die sie, inszeniert von Kurator Wulf Küster, als Hommage zum 100. Geburtstag der franko-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois (1911 bis 2010) vom 3.9.2011 bis zum 8.1.2012 zeigt. Teils inmitten von Werken anderer Künstler aus der Sammlung der Fondation in Riehen, teils in eigenen Räumen belegen skulpturale und zeichnerische Arbeiten die ungewöhnliche Breite ihres Schaffens, das die Klassische Moderne mit der Gegenwartskunst verbindet. Den Anfang und das Ende der Werkschau bilden zwei herausragende Werke: im Park, von Bäumen umgeben, die monumentale Riesenspinne «Maman» aus dem Jahr 1999 und im Untergeschoss, im Innersten des Museumsbaus, der käfigförmige Seelen-Parcours «Passage dangereux» von 1997. Besonders stolz sind die Ausstellungsmacher, dass sie die Erlaubnis erhielten, den Zyklus «A l’infini» aus dem Jahr 2008, zum ersten Mal öffentlich zu zeigen. Die 14 grossformatigen Radierungen kann als eine Art Selbstporträt der Künstlerin gelesen werden, das sich aus Bruchstücken ihres Unbewussten zusammensetzt. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung steht hier.

Brancusi und Serra bei Beyeler

Es ist nicht gerade Feuer und Wasser, was der Kurator Oliver Wick vom 22. Mai bis 21. August 2011 in der Fundation Beyeler zusammenführt. Doch mindestens als ganz und gar ungewöhnlich darf sein Vorhaben gelten, Constantin Brancusi (1876 bis 1957), dem Meister der skulpturalen Reduktion und der glatten Oberfläche, und Richard Serra (geboren 1939), dem Virtuosen der monumentalen Raum-Installation einen gemeinsamen Auftritt zu ermöglichen. Noch nie waren in der Schweiz so viele Arbeiten Brancusis, des wichtigsten Bildhauers der klassischen Moderne, zu sehen. Die 40 Werke sind gruppenweise ausgestellt, wobei mehrfach Variationen desselben Sujets in verschiedenen Materialien präsentiert werden. Von Richard Serra sind zehn wichtige Arbeiten zu sehen, gewaltige Stahlplatten, für die das Museum teilweise umkonstruiert werden musste, damit die viele Tonnen schweren Objekte richtig platziert werden konnten. Die Wirkung ist atemberaubend – auch wenn man nicht sieht, wie schwierig es war, die Kunstwerke ins Haus zu bringen. «Das», rief Sam Keller, der Direktor der Fundation Beyeler, aus, «soll und einmal jemand nachmachen.» In der Tat, auch Richard Serra, der seine erste Arbeit in Riehen 1980 für die inzwischen legendäre Ausstellung «Skulptur im 20. Jahrhundert» im Wenkenpark installierte, äusserte sich begeistert über das riesige Engagement der Fondation.
Wicks «Bauchgefühl», dass Brancusi und Serra irgendwie seelenverwandt seien und zusammen gezeigt gehören, bleibt nach einem ersten Rundgang durch die sorgfältig arrangierte Ausstellung ein Bauchgefühl: Man wird den Eindruck nicht los, dass sich die Werke der beiden Koryphäen nicht allzu viel zu sagen haben. So sehr Serra schon als Kunststudent in Paris Brancusi bewunderte, in dessen rekonstruiertem Atelier er tagelang zeichnend hockte, so eigenständig hat er später sein skulpturales Werk entwickelt. Brancusis Einfluss auf alle, die nach ihm Kunstwerke in drei Dimensionen gestalteten, ist unbestritten.
Zur Ausstellung erschien ein Katalog, der alle versammelt, die sich über Serras und Brancusis Kunst kluge Gedanken machen.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs ist
hier zu lesen.

Kunst-Clan Giacometti

«Giacometti» heisst (vom 31. Mai bis 11. Oktober 2009) kurz und bündig der Titel der Sommer-Ausstellung in der Fondation Beyeler. Anhand von über 150 Werken belegt die Schau die Einzigartigkeit und die enge künstlerische Verbundenheit des Bergeller Clans der Giacomettis. Die Familienmitglieder sassen einander nicht nur oft und gern Modell, sondern sie halfen einander auch, künstlerische Probleme zu lösen. Besonders eng war der Austausch zwischen Vater Giovanni Giacometti und seinem Sohn Alberto. Die umfassende Werkschau von Alberto Giacomettis Auseinandersetzung mit der Darstellung der Bewegung in Raum und Zeit kommt in der Architektur von Renzo Pianos Museumsbau in grossartiger Weise zur Geltung. Mehr...