Theodora Vischer

«Close-Up»: Neun Porträtistinnen in der Fondation Beyeler

Frida Kahlo
Kuratiert von Theodora Vischer zeigt die Fondation Beyeler in Riehen vom 21. September 2021 bis am 9. Januar 2022 unter dem Titel «Close-Up» rund 100 Werke von neun Künstlerinnen, die in der Zeit von 1870 bis zur Gegenwart entstanden sind. Die chronologisch gestaltete Ausstellung beginnt mit den Impressionistinnen Berthe Morisot (1841-1895) und Mary Cassatt (1844-1926), dann folgen Paula Modersohn-Becker (1876-1907) und Lotte Laserstein (1898-1993), Frida Kahlo (1907-1954) und Alice Neel (1900-1984) sowie die Zeitgenossinnen Marlene Dumas (*1953), Cindy Sherman (*1954) und Elisabeth Peyton (*1965). Als Gemeinsamkeit der künstlerischen Arbeit – «Close-Up», der Titel der Schau, fasst die Intention zusammen – nennt die Einleitung zum Saaltexte-Heft «die Konzentration auf Porträts und Selbstporträts». Diese Einschränkung ist wichtig, weil damit eine Auseinandersetzung mit dem gesamten Œuvre der Künstlerinnen umgangen wird. Wer durch die Ausstellung geht, wird sein Interesse auf die Frage fokussieren, welche Sicht auf die abgebildeten Menschen die Malerinnen wählten. Während bei Berthe Morisot und Mary Cassatt vor allem ihre impressionistische Maltechnik Aufmerksamkeit verdient – und ihr Mut, sich darauf einzulassen, Hochachtung – ist bei ihren Nachfolgerinnen die Abkehr von der traditionellen Porträtmalerei bemerkenswert: Nicht mehr das möglichst genaue Abbild der äusseren Erscheinung der Porträtierten war die künstlerische Herausforderung, sondern die Darstellung der subjektiv erfassten Persönlichkeit. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler bietet einen lebendigen Einblick in die Porträtmalerei der letzten 150 Jahre; sie ermöglicht die Bekanntschaft mit selten ausgestellten Werken (Morisot, Cassatt, Laserstein, Geel) aus dem 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert und das Wiedersehen mit zeitgenössischen Malerinnen. Wer wissen möchte, wie die Auswahl gerade dieser neun Künstlerinnen zustande kam, erhält allerdings keine Antwort. Und auch die spannende Frage, ob Porträtistinnen anders malen als ihre männlichen Kollegen, muss mangels Vergleichsmöglichkeiten offen bleiben. Zum aktuellen Druck auf Ausstellungsmacherinnen, jetzt unbedingt Künstlerinnen eine Bühne zu bereiten, erübrigt sich eine Bemerkung. Wir halten das für eine Mode, die in absehbarer Zeit von einer vernünftigen, auf Qualität fokussierten Balance abgelöst wird.

Zur Ausstellung erschien – in je einer deutschen und englischen Version – ein schön gestalteter, reich illustrierter Katalog mit kenntnisreichen Künstlerinnen-Porträts und sorgfältig kommentierten Chronologien.
Vischer, Theodora (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Close-Up. Berthe Morisot, Mary Cassatt, Paula Modersohn-Becker, Lotte Laserstein, Frida Kahlo, Alice Neel, Marlene Dumas, Cindy Sherman, Elisabeth Peyton. Riehen/Berlin 2021 (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag). 342 Seiten, CHF 58.00/€ 58.00.

Illustration: Frida Kahlo, Selbstporträt (1926)

Roni Horn in der Fondation Beyeler

In sechs Räumen zeigt die Fondation Beyeler in Riehen vom 2. Oktober 2016 bis zum 1. Januar 2017 an beispielhaften Arbeiten aus den letzten 20 Jahren das Werk der amerikanischen Künstlerin Roni Horn. 1955 in New York geboren, wuchs sie im Rockland County, im südlichsten Zipfel des Staates New York auf. Ihr Kunststudium an der Rhode Island School of Design schloss sie 1975 mit dem Bachelor ab, bevor sie an der Yale University in New Haven ihr Master-Studium mit Schwerpunkt Skulptur aufnahm, reiste sie 1975 als 20-jährige zum ersten Mal nach Island. Diese Reise und zahlreiche weitere Aufenthalte auf der Vulkaninsel im Nordatlantik waren prägend für Horns künstlerische Entwicklung. Roni Horn ist ungeachtet ihrer Ausbildung zur plastischen Künstlerin in erster Linie Zeichnerin. Dabei benutzt sie den Zeichenstift nicht nur als künstlerisches Werkzeug, sondern auch als Werkzeug
Th Rose Prblm
der Selbstvergewisserung. Das Zeichnen ermöglicht ihr, neue Ideen auszuprobieren, bevor sie sie dann umsetzt – zum Beispiel als eine Art Collage – wie die imposante Galerie von zehn abstrakten Bildern in der Ausstellung zeigen. Ausgangsmaterial sind bei allen mehrere ähnliche Zeichnungen, die dann sorgfältig mit dem Messer zerschnitten und neu zu einem Grossformat zusammengesetzt wurden. Eröffnet wird die Schau aber durch die Foto-Installation «a.k.a.» von 2008/09, eine Sammlung von 30 paarweise präsentierten Porträts der Künstlerin als Kind, Jugendliche und Erwachsene. Da die Bilder nicht chronologisch geordnet sind, bleibt immer ein Rest an Zweifel, ob es sich auf den Fotos immer um die gleiche Person handelt. Besonders beeindruckend fanden wir die neusten Papierarbeiten, die unter dem Titel «Th Rose Prblm» auf vielfältige Weise und in grosser Farbigkeit an Gertrude Steins (1874-1946) meistzitierte Gedichtzeile «Rose is a rose is a rose is a rose» erinnern – und wohl auch als Hommage an die Mutter aller Avantgardisten gedacht. Horn weitet Steins Vorgabe aus, indem sie weitere Redewendungen verwendet, in denen das Wort «Rose» vorkommt. Der Titel, dem sie, wie im Hebräischen, die Vokale bis auf das O in der Rose entzieht, ist ein zusätzliches Aperçu. Im dritten Raum zeigt Kuratorin Theodora Vischer, welche die Schau in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin gestaltete, 15 grossformatige Fotografien des Wassers der Themse. «Still Water (The River Thames, for Example)» entstand 1999. Unterhalb der Bilder platzierte Fussnoten fordern die Betrachtenden auf, nicht nur zu schauen, sondern auch nachzudenken: «Is water sexy?» wird da etwa gefragt, oder es werden Anekdoten über Vorkommnisse in und an der Themse zitiert – alles in einem Tonfall, als ob man einem Selbstgespräch der Künstlerin zuhören würde. Der grösste Raum der Ausstellung ist drei zylindrischen Glasskulpturen-Paaren mit dem Titel «Water-Double» vorbehalten.
Water Double
Die viele Tonnen schweren Gebilde sind alle gleich gross, aber von verschiedener Farbe. Sie wirken mächtig durch ihre Masse und vermitteln paradoxerweise gleichzeitig den Eindruck von Zerbrechlichkeit – weil wir Glas spontan als fragil erleben. Von allen Exponaten lässt sich bei dieser Arbeit am ehesten die Inspiration durch die isländische, von Wasser, Eis und Vulkanasche geprägte Landschaft vorstellen. An den Schluss der Schau haben die Ausstellungsmacherinnen eine zweite, ganz neue und erstmals gezeigte Porträtarbeit gestellt. Der Raum präsentiert 67 einzelne, in Gruppen arrangierte Fotografien von Objekten, die Roni Horn zwischen 1974 und 2015 zum Geschenk gemacht wurden. Es sind Bücher darunter, aber auch ein Liebesbrief, das versteinerte Ei eines Dinosauriers oder ein ausgestopfter Schwan. In der Summe, ist die Künstlerin überzeugt, lässt sich dieses Inventar von Geschenken und Mitbringseln auch als Selbstporträt lesen.

Im Verlauf der Ausstellung erscheint eine Broschüre mit einem Gespräch Theodora Vischers mit der Künstlerin und Installationsaufnahmen der Ausstellung. Zudem steht ein Heft mit Saaltexten zur Verfügung.

Illustrationen: Oben: «Th Rose Prblm» (2015/2016), unten: «Water Double, v 1-v. 3 (2013-2016). Fotos aus der Ausstellung © Jürg Bürgi, Basel.

Alexander Calder mit Fischli/Weiss in der Fondation Beyeler

Es war die Idee der Kuratorin Theodora Vischer, das Werk von Alexander Calder (1898-1976), dem amerikanischen Altmeister des prekären Gleichgewichts, mit dem Schaffen des ebenfalls von der Equlibristik faszinierten Schweizer Künstler-Duos Peter Fischli (geb. 1952) und David Weiss (1946-2012) in einer gemeinsamen Schau zusammenzuführen. Die Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel dauert vom 29. Mai bis zum 4. September 2016. Zu sehen sind 100 Exponate in 12 Räumen. Der Parcours beginnt im Foyer mit einer – distanzierten – Begegnung der Kinderkostüme von Ratte und Pandabär, den Alter Egos von Fischli und Weiss mit Calders «Otto’s Mobile» von 1952. Und im ersten Saal geht die Konfrontation weiter: Im Vordergrund sind Werke aus der vergleichsweise bodenständigen Serie «Walls, Corners, Tubes», die teils aus ungebranntem Lehm, teils aus
two acrobats

schwarzem Gussgummi gefertigt sind. Sie stehen im Kontrast zu Calders filigraner Seiltanz-Installation «Tightrope» von 1936. Die folgenden vier Räume sind ganz Calder vorbehalten, dem, wie sich zeigt, in der Ausstellung eindeutig der Lead zukommt. Das zeigt sich besonders am grössten Saal, in dem zwei Dutzend Skulpturen und Mobiles zu einem imposanten Panorama der besonders fruchtbaren Schaffenszeit von 1930 bis 1950 zusammengestellt sind. Inspiriert wurde dieser zentrale Teil der Ausstellung und die Auswahl der gezeigten Werke von einer Präsentation am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, die Calder 1950 selbst inszeniert hatte. Davor ist von Fischli/Weiss ihr populärstes Werk, der Film «Der Lauf der Dinge» zu sehen – zum ersten Mal zusammen mit einer Vitrine von Überbleibseln der ebenso witzigen wie faszinierenden Kettenreaktion. Der Raum daneben vermittelt unter dem Titel «Equilibres (Stiller Nachmittag)»anhand von Schnappschüssen von waghalsigen Gleichgewichts-Arrangements aus Alltagsgegenständen, wie die Idee zum «Lauf der Dinge» gewachsen ist. Etwas abseits der Fondation, auf einem Pflanzblätz am Bachtelenwegli, ist ein Projekt auferstanden, das Fischli/Weiss 1997 in Münster im Rahmen einer Skulpturenausstellung erstmals realisiert hatten: ein sorgfältig angelegter
Rüebli
Bauerngarten mit Blumen und Gemüse,mit Sitzplatz und Geräteschuppen. Es fällt nicht schwer, darin das ideale Gleichgewicht zwischen Natur und menschlichem Handeln zu erkennen. Leider ist die Gewöhnlichkeit des Projekts so gross, dass – wie Patrick Frey schon vor knapp 20 Jahre formulierte – «die künstlerische Arbeit … als solche von vielen Besucherinnen und Besuchern gar nicht erkannt wird». In Riehen kommt erschwerend hinzu, dass es mangels angemessener Signalisation besonderer Anstrengung bedarf, den Garten zu finden.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs folgt demnächst
hier.

Zur Ausstellung ist ein sehr schön gestalteter und überaus informativer Katalog erschienen: Theodora Vischer (Hrsg. für die Fondation Beyeler): Alexander Calder & Fischli/Weiss. Museumsausgabe: Riehen 2016 (Fondation Beyeler), Buchhandelsausgabe: Ostfildern (Hatje Cantz Verlag), 272 Seiten CHF 62.50 (Museumsausgabe). Der Katalog ist sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache verfügbar.

Illustrationen: Alexander Calder: «Two Acrobat» 1929 (oben); Fischli/Weiss: «Stiller Nachmittag» 1994 (unten). © Jürg Bürgi, 2016 (Bilder in der Ausstellung fotografiert).

Marlene Dumas – Das Bild als Bürde

Portrait
Nach London (Tate Modern) und Amsterdam (Stedelijk Museum) erreicht die grosse Marlene-Dumas-Retrospektive «The Image as Burden» («Das Bild als Bürde») vom 31. Mai bis zum 6. September 2015 in der Fondation Beyeler ihre dritte und letzte Station. Geboren 1953 in einem ländlichen Vorort von Kapstadt – ihr Vater war Weinbauer – kam die junge Künstlerin 1976 zur weiteren Ausbildung nach Amsterdam, wo sie seither lebt und arbeitet. Marlene Dumas gilt als eine der bedeutendsten zeitgenössischen Malerinnen. Ihr Werk konzentriert sich in eigenständiger und eigensinniger Weise um die «condition humaine», um die Vielfalt menschlicher Existenz und die mannigfaltigen Umstände des Lebens. Die von der Kuratorin Theodora Vischer zusammen mit Marlene Dumas geplante Hängung in der Fondation Beyeler folgt weitgehend chronologisch dem künstlerischen Werdegang in den letzten 40 Jahren. Zu sehen sind rund 80 Gemälde und 30 Aquarelle sowie Zeichnungen, Collagen und Skizzen. Die Ausstellung beginnt mit einem Selbstporträt, dessen Titel «The Sleep of Reason» auf Francesco Goyas Radierung «Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer» anspielt, und mit dem Bildnis «The Painter».Es zeigt ein farbverschmiertes kleines Kind, das den Betrachter auf verstörende Art trotzig und aus dunklen Augenhöhlen anstarrt. In den beiden Gemälden ist das Werk gleichsam in nuce umrissen. Die Arbeitsweise: Dumas malt nach fotografischen Vorlagen, nicht nach einem lebenden Modell; das Handwerk: sorgfältige, dem Sujet angepasste Maltechnik und Farbwahl, die nur den Anschein macht, skizzenhaft zu sein; die Bildtitel: anspielungsreich und zur Interpretation einladend. «Es gibt das Bild (die Fotografie, die als Quelle dient)», erläutert Marlene Dumas, «mit dem man anfängt, und das Bild (das gemalte Bild), mit dem man aufhört, und das eine ist nicht das gleiche wie das andere. Ich wollte dem mehr Aufmerksamkeit geben, was die Malerei mit dem Bild macht, und nicht nur das in den Blick nehmen, was das Bild mit der Malerei macht.» Der Katalog zur Ausstellung enthält nicht nur die an den drei Ausstellungsorten gezeigten Exponate, sondern –neben den üblichen Erläuterungen kenntnisreicher Expertinnen und Experten – eine Fülle von Selbstzeugnissen der auch literarisch aktiven Künstlerin.
Leontine Coelewji, Helen Sainsbury, Theodora Vischer (Hrsg.): Marlene Dumas – The Image as Burden. Riehen/Basel und Ostfildern (Fondation Beyeler/Hatje Cantz Verlag). 196 Seiten, €38.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und eine Würdigung des Katalogs sind
hier zu finden.

Thomas Schütte in der Fondation Beyeler

Thomas Schütte gilt als einer der kreativsten Köpfe der zeitgenössischen Kunstszene. Seit dem 6. Oktober 2013 und bis zum 2. Februar 2014 gibt die Fondation Beyeler in Riehen einen Einblick in das vielgestaltige skulpturale und bildnerische Werk des 1954 geborenen Rheinländers. Die von Theodora Vischer eingerichtete Schau konzentriert sich unter dem Titel «Figur» auf variantenreiche Darstellungen der menschlichen Gestalt, die zumeist der jüngeren und jüngsten Schaffensperiode entstammen. Frühere Arbeiten – vor allem die originellen und witzigen Architekturmodelle, die Schütte in den frühen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als eigenständigen Vertreter der Konzeptkunst auswiesen – sind leider nicht zu sehen. (Sie gastieren vom 26.10.2013 bis 16.2.2014 im Kunstmuseum Luzern.) Die Ausstellung der Fondation Beyeler präsentiert Schütte als experimentierfreudigen Plastiker, der für seine Arbeiten beliebige Materialien verwendet – Muranoglas neben Stahl, Keramik neben Aluminiumguss, Holz neben Bronze oder Kunststoff. Viele seiner Werke gibt es in mehreren Versionen, gross und klein, mal bis ins Detail ausgeführt, mal skizzenhaft unvollendet. Schütte formt einzelne Figuren, vor allem Köpfe und Körper, sorgfältig nach der Natur, andere erscheinen verformt und willkürlich zerknautscht.

Die Ausstellung zeigt, wie unterschiedlich die Skulpturen mit ihrer Umgebung kommunizieren. Die einfarbig schwarze Riesen-Version der Gruppe «United Enemies» ist ein gutes Beispiel dafür. Eigentlich für den Aussenraum gedacht, wird sie hier erstmals in vier Wänden gezeigt – und wirkt auf die Besucher in der Eingangshalle mit ihrer massiven, verbissenen Präsenz prompt bedrohlich. Viel eindrücklicher und witziger erscheint dagegen die kleinformatige, farbige, puppenhafte Frühversion desselben Motivs, das 1992 in Rom entstand. Dasselbe gilt für die Alien-artige Gruppe «Vier Grosse Geister» aus schwarz patinierter Bronze, die vor der Ausstellung auf öffentliche Plätze nach Zürich, Genf und Bern geschickt worden war. Als problematisch erweist sich auch die Massierung der nummerierten Stahl-, Bronze- und Aluminiumfrauen im grossen, gegen Norden ausgerichteten Gartensaal. Sie führt dazu, dass die Werke gar nicht mehr als individuell gestaltete Einzelstücke sondern nur als Ensemble im Depot einer Galerie, oder – freundlicher formuliert – in einem Schaulager wahrgenommen werden, wo sie auf Abnehmer warten. (Im Essener Folkwang-Museum sind vom 21.9.2013 bis 12.1.2014 ebenfalls Abgüsse der «Frauen» zu sehen; allerdings wird ihnen dort deutlich mehr Raum gegeben.) Auch diese Frauen-Skulpturen, ist aufgrund der zur Verfügung gestellten Pressebilder zu vermuten, könnten im Freien und als Solitäre gezeigt werden.

Einer eigenen Welt entstammen «Die Fremden», die sich mit Sack und Pack auf dem Dach über dem Eingang der Fondation aufgereiht haben. Die farbige Keramik-Gruppe, die an gedrechselte Holzfiguren aus dem Erzgebirge erinnert, scheint unschlüssig, ob sie in den Park hinunter steigen will. Dort steht der personifizierte «Vater Staat» von 2010, überlebensgross und gewandet in dieselbe Art von Bademantel, in dem auch die «vereinigten Feinde» auftreten. Wiewohl die Ironie der Figur eher dem paternalistischen Staatsverständnis der Bundesrepublik entspringt, so bringt sie doch auch Eidgenossen zum Schmunzeln: Die Gestalt, die ihrer deutschen Heimat den Rücken zukehrt, hat offensichtlich den Gürtel eng geschnallt, und sie versteckt ihre Hände, um nicht den Eindruck der Freigebigkeit aufkommen zu lassen. Über die merkwürdige Kopfbedeckung – ein türkischer Fes? – darf man spekulieren. Eindeutiger boshaft ist Schütte, wenn er einer kleinen Gruppe von sechs Kriegern Schraubdeckel als Helme aufsetzt. Auch hier erscheint das Kleinformat eindrücklicher als die in Holz gefertigten Gross-Skulpturen, die allerdings eine Weiterentwicklung darstellen: die Gruppe umfasst noch zwei Figuren, die unfähig sind, ihre bedrohlichen Waffen zu gebrauchen – die eine, weil sie verkrüppelte Hände hat, die andere, weil sie weder Arme noch Beine besitzt.

Wie ein Kontrastprogramm zu den wuchtigen, raumfüllenden Plastiken präsentieren sich die Zeichnungen und Aquarelle. Es handelt sich dabei um unabhängige Werkzyklen mit einer eigenen subtilen Formensprache.

Alles in allem bietet die Ausstellung in der Fondation Beyeler einen guten Überblick über das skulpturale Werk Thomas Schüttes. Wer den Düsseldorfer auch als Konzept-Künstler erleben will, hat im Kunstmuseum Luzern Gelegenheit dazu.

Der Katalog zur Ausstellung «Thomas Schütte FIGUR» präsentiert 252 Abbildungen, einen Aufsatz von Adrian Searle, sowie Interviews von Theodora Vischer mit Thomas Schütte, sowie ein Gespräch zwischen Gerhard Richter, Thomas Schütte und Theodora Vischer. Köln 2013 (Walther König Verlag), 193 Seiten, CHF 59.00

Illustrationen: «Die Fremden» (1992), «Vater Staat» (2010)
© Text und Bilder Jürg Bürgi, 2013

«Calder Gallery» bei Beyeler

Unter dem Titel «Calder Gallery» beginnt die Fondation Beyeler in Riehen am 25. Mai 2012 eine langfristige Zusammenarbeit mit der Calder Foundation in New York. Nach Angaben des Museums soll damit erreicht werden, dass das umfangreiche Werk von Alexander Calder (1898-1976) permanent und «in Europa einzigartig» im Riehener Ausstellungshaus präsent ist. Ausgewählt von Theodora Vischer, sind in der aktuellen Schau Werke aus dem Nachlass von Calders jüngster Tochter, Mary Calder Rower, zu sehen. Im Entree hängt ausserdem «Ottos’s Mobile», eine stark von Joan Mirò Malerei geprägte Bewegungs-Skulptur aus dem Jahr 1952, die nicht nur die Freundschaft zwischen den beiden Künstlern belegt, sondern auch seinen immer wieder aufblitzenden Witz: «Otto mobile» tönt wie «Auto mobile» – mit dem Schlenker, dass viele Automobile von Ottomotoren angetrieben werden. Das Mobile gehört, zusammen mit der monumentalen Skulptur «The Tree», die bis nach dem Abbau von Jeff Koons’ «Split-Rocker»im Herbst, «in Wartung» ist, zur Sammlung der Fondation Beyeler. Die Präsentation der «Calder Gallery» wird mit wechselnder Besetzung für unbestimmte Zeit fortgeführt,

Plädoyer für Jeff Koons

Die Fondation Beyeler affichiert ihre Jeff-Koons-Show als «erste Einzelausstellung in einem Schweizer Museum». Ist das ein Zufall? Vielleicht mochten sich andere Kunsthäuser bisher nicht auf eine Debatte über Kitsch oder Nicht-Kitsch des Koonschen Oeuvre einlassen. Möglich, dass sie fürchteten eine Ausstellung könnte als Statement für den seit seinen Anfängen umstrittenen und seit seiner kurzen Ehe mit dem italienisch-ungarischen Porno-Sternchen Ilona «Cicciolina» Staller berüchtigten Amerikaner gewertet werden. Anderseits ist es unbestritten, dass Koons auf dem Kunstmarkt eine ganz grosse Nummer ist. Seine Produktionen erzielen auf Auktionen regelmässig Rekordpreise. Inzwischen kann die über 100-köpfige Belegschaft der Koonschen Kunstfabrik den Markt mit beachtlichen Stückzahlen beliefern – aber ohne die Nachfrage je befriedigen zu können. Im zeitlichen Umfeld der jährlichen Kunstmesse »Art Basel» garantiert die Koons-Schau dem Museum beträchtlichen Zulauf; und dem Künstler und seinen Agenten bietet sie eine zusätzliche Verkaufsplattform: Vom 13. Mai bis zum 2. September 2012 zeigt die Fondation Beyeler 48 Exponate aus fünf Werkgruppen und dazu, im Park vor dem Museum, die monumentale Blumenskulptur «Split-Rocker», der Kopf eines Schaukeltiers, halb Dinosaurier, halb Pony. Dass Theodora Vischer, eine weltweit anerkannte Spezialistin für Gegenwartskunst, die Werkschau mit grosser Ernsthaftigkeit kuratierte, und dass Direktor Sam Keller bei der Präsentation (und in Anwesenheit des Künstlers) fast verzweifelt an die Medienleute appellierte, sachlich und faktenbezogen zu berichten, werten wir als ultimativen Versuch, Jeff Koons vom Image des cleveren Selbstdarstellers und Vermarkters von Kitsch- und Glitzer-Objekten zu befreien und ihn endlich als Künstler mit Tiefgang zu etablieren. Ob das Plädoyer Erfolg hat, steht dahin. Sicher ist, dass die Schau bei Beyeler den Kunstinteressierten eine Gelegenheit bietet, sich selbst ins Bild zu setzen.
Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des umfangreichen Katalogs gibt es hier.