Thomas Schütte in der Fondation Beyeler

Thomas Schütte gilt als einer der kreativsten Köpfe der zeitgenössischen Kunstszene. Seit dem 6. Oktober 2013 und bis zum 2. Februar 2014 gibt die Fondation Beyeler in Riehen einen Einblick in das vielgestaltige skulpturale und bildnerische Werk des 1954 geborenen Rheinländers. Die von Theodora Vischer eingerichtete Schau konzentriert sich unter dem Titel «Figur» auf variantenreiche Darstellungen der menschlichen Gestalt, die zumeist der jüngeren und jüngsten Schaffensperiode entstammen. Frühere Arbeiten – vor allem die originellen und witzigen Architekturmodelle, die Schütte in den frühen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als eigenständigen Vertreter der Konzeptkunst auswiesen – sind leider nicht zu sehen. (Sie gastieren vom 26.10.2013 bis 16.2.2014 im Kunstmuseum Luzern.) Die Ausstellung der Fondation Beyeler präsentiert Schütte als experimentierfreudigen Plastiker, der für seine Arbeiten beliebige Materialien verwendet – Muranoglas neben Stahl, Keramik neben Aluminiumguss, Holz neben Bronze oder Kunststoff. Viele seiner Werke gibt es in mehreren Versionen, gross und klein, mal bis ins Detail ausgeführt, mal skizzenhaft unvollendet. Schütte formt einzelne Figuren, vor allem Köpfe und Körper, sorgfältig nach der Natur, andere erscheinen verformt und willkürlich zerknautscht.

Die Ausstellung zeigt, wie unterschiedlich die Skulpturen mit ihrer Umgebung kommunizieren. Die einfarbig schwarze Riesen-Version der Gruppe «United Enemies» ist ein gutes Beispiel dafür. Eigentlich für den Aussenraum gedacht, wird sie hier erstmals in vier Wänden gezeigt – und wirkt auf die Besucher in der Eingangshalle mit ihrer massiven, verbissenen Präsenz prompt bedrohlich. Viel eindrücklicher und witziger erscheint dagegen die kleinformatige, farbige, puppenhafte Frühversion desselben Motivs, das 1992 in Rom entstand. Dasselbe gilt für die Alien-artige Gruppe «Vier Grosse Geister» aus schwarz patinierter Bronze, die vor der Ausstellung auf öffentliche Plätze nach Zürich, Genf und Bern geschickt worden war. Als problematisch erweist sich auch die Massierung der nummerierten Stahl-, Bronze- und Aluminiumfrauen im grossen, gegen Norden ausgerichteten Gartensaal. Sie führt dazu, dass die Werke gar nicht mehr als individuell gestaltete Einzelstücke sondern nur als Ensemble im Depot einer Galerie, oder – freundlicher formuliert – in einem Schaulager wahrgenommen werden, wo sie auf Abnehmer warten. (Im Essener Folkwang-Museum sind vom 21.9.2013 bis 12.1.2014 ebenfalls Abgüsse der «Frauen» zu sehen; allerdings wird ihnen dort deutlich mehr Raum gegeben.) Auch diese Frauen-Skulpturen, ist aufgrund der zur Verfügung gestellten Pressebilder zu vermuten, könnten im Freien und als Solitäre gezeigt werden.

Einer eigenen Welt entstammen «Die Fremden», die sich mit Sack und Pack auf dem Dach über dem Eingang der Fondation aufgereiht haben. Die farbige Keramik-Gruppe, die an gedrechselte Holzfiguren aus dem Erzgebirge erinnert, scheint unschlüssig, ob sie in den Park hinunter steigen will. Dort steht der personifizierte «Vater Staat» von 2010, überlebensgross und gewandet in dieselbe Art von Bademantel, in dem auch die «vereinigten Feinde» auftreten. Wiewohl die Ironie der Figur eher dem paternalistischen Staatsverständnis der Bundesrepublik entspringt, so bringt sie doch auch Eidgenossen zum Schmunzeln: Die Gestalt, die ihrer deutschen Heimat den Rücken zukehrt, hat offensichtlich den Gürtel eng geschnallt, und sie versteckt ihre Hände, um nicht den Eindruck der Freigebigkeit aufkommen zu lassen. Über die merkwürdige Kopfbedeckung – ein türkischer Fes? – darf man spekulieren. Eindeutiger boshaft ist Schütte, wenn er einer kleinen Gruppe von sechs Kriegern Schraubdeckel als Helme aufsetzt. Auch hier erscheint das Kleinformat eindrücklicher als die in Holz gefertigten Gross-Skulpturen, die allerdings eine Weiterentwicklung darstellen: die Gruppe umfasst noch zwei Figuren, die unfähig sind, ihre bedrohlichen Waffen zu gebrauchen – die eine, weil sie verkrüppelte Hände hat, die andere, weil sie weder Arme noch Beine besitzt.

Wie ein Kontrastprogramm zu den wuchtigen, raumfüllenden Plastiken präsentieren sich die Zeichnungen und Aquarelle. Es handelt sich dabei um unabhängige Werkzyklen mit einer eigenen subtilen Formensprache.

Alles in allem bietet die Ausstellung in der Fondation Beyeler einen guten Überblick über das skulpturale Werk Thomas Schüttes. Wer den Düsseldorfer auch als Konzept-Künstler erleben will, hat im Kunstmuseum Luzern Gelegenheit dazu.

Der Katalog zur Ausstellung «Thomas Schütte FIGUR» präsentiert 252 Abbildungen, einen Aufsatz von Adrian Searle, sowie Interviews von Theodora Vischer mit Thomas Schütte, sowie ein Gespräch zwischen Gerhard Richter, Thomas Schütte und Theodora Vischer. Köln 2013 (Walther König Verlag), 193 Seiten, CHF 59.00

Illustrationen: «Die Fremden» (1992), «Vater Staat» (2010)
© Text und Bilder Jürg Bürgi, 2013