Matisse, Derain und ihre Freunde im Kunstmuseum Basel

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Vom 2. September 2023 bis 24. Januar 2024 stellt das Kunstmuseum Basel unter dem Titel «Matisse, Derain und ihre Freunde» 160 Arbeiten der ersten bedeutenden Avantgarde-Bewegung des 20. Jahrhunderts aus: «Les Fauves». Die Häuptlinge der «Wilden» – Henri Matisse (1869-1954) und André Derain (1880-1954) – machten mit den gültigen Gesetzen der Malerei Schluss. Im Zentrum ihrer Arbeiten stand, repräsentiert durch reine, ungemischte Farben, der emotionale Gehalt des Dargestellten. Beispielhaft für diese Haltung steht das Gemälde «La Plage rouge», das 1905 in Collioure in Südfrankreich entstand. Dort, am Fuss der Pyrenäen, nahe der spanischen Grenze, verbrachte Matisse mit seiner Familie und mit Derain den Sommer. Gefragt, weshalb er den gelben, allenfalls beige-braunen Sandstrand rot gemalt habe, gab er zu, dass ihn dies auch irritiert habe. Er hielt aber an der Farbgebung fest, weil sie, wie er sagte, seine Stimmung beim Betrachten des Strandes entsprach. Diese und andere neue Arbeiten mit bis dahin gänzlich ungewohnten Farbkombinationen, machten im Herbstsalon in Paris Skandal. Der ebenso einflussreiche wie scharfzüngige konservative Kritiker Louis Vauxcelles (1870-1943) verhöhnte die Maler dieser
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Avantgarde als «Fauves» – und erfand damit die in den folgenden Jahren erfolgreiche Marke des «Fauvisme». Die vom Berner Kunsthistoriker Arthur Fink, von Claudine Grammont, der früheren Direktorin des Musée Matisse in Nizza und heutigen Leiterin der Grafiksammlung des Centre Pompidou in Paris sowie dem Basler Museumsdirektor Josef Helfenstein kuratierte Ausstellung zeigt auf eindrückliche Weise, wie vielgestaltig die Gruppe der Fauvisten auftrat. Zum Teil handelte es sich um Schüler des Symbolisten Gustave Moreau (1826-1898) – Henri Matisse, Albert Marquet (1875-1947), Henri Charles Manguin (1874-1949), Charles Camoin (1879-1965) und Jean Puy (1876-1960) – , zum Teil um Malerfreunde, die im Pariser Vorort Chatou, wo sie aufgewachsen waren, in einem gemeinsamen Atelier arbeiteten – André Derain (1880-1954) und Maurice de Vlaminck (1876-1958) – und zum Dritten um junge Künstler aus Le Havre, die sich der Bewegung nach dem Herbstsalon von 1905 anschlossen – Raoul Dufy (1877-1953), Georges Braque (1882-1963) und Othon Friesz (1879-1949). Die Arbeiten dieser heterogenen Gesellschaft, die ohne Manifest auskam und in erster Linie durch ein Netzwerk von Freundschaften verbunden war, werden in neun Kapiteln präsentiert. Im ersten Raum dominieren die Schüler Moreaus, die gemeinsam Aktmalerei betrieben. Dort entstand 1900 im trüben Winterlicht Henri Matisse’ «Nu aux souliers roses», das Bild eines auf einem Podest stehenden Aktmodells mit rosaroten Schuhen. Der Kollege Jean Puy beschrieb die gänzlich ungewohnte Farbgebung – ein «kräftiges, schwer lastendes Blau … und die Formen des Modells in Orange» als «Grausamkeit gegenüber dem Auge».
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In den weiteren Sälen zeigen spektakuläre Landschaftsbilder aus der Normandie und aus Südfrankreich die ungebrochene Begeisterung der «Fauves» für die Freiluft-Malerei und ihr gleichzeitiges Interesse für Stillleben und Familienszenen. Dass die jungen Männer gerne Motive des Stadt- und Nachtlebens abbildeten, das sie aus eigenem Erleben besonders gut kannten, ist keine Überraschung. Gleichzeitig zeigten sie sich aber auch fasziniert von idyllischen ländlichen Freizeitszenen, die sich mit exotischen Motiven und symbolischer Gestik aufladen liessen. Beispielhaft für diese Malerei ist das grösste Bild der Schau, André Derains «La danse» von 1906: Da ist Gauguin drin, aber auch kambodschanische Tempelzier und weitere koloniale Motive. Die beiden letzten Räume zeigen, wie früh die «Fauves» Skulpturen und bemalte Keramik in ihr Repertoire aufnahmen und wie stark sie im Kunstschaffen der folgenden Jahre ihre Spuren hinterliessen.

Illustrationen von oben nach unten: Henri Matisse «La Plage rouge», 1905 (Scan aus dem Katalog); Henri Matisse «Nu aux souliers roses», 1900 (Scan aus dem Katalog); André Derain «La danse», 1906 (Privatsammlung, © 2023, Pro Litteris, Zürich).

Die Ausstellung wird begleitet von einem sorgfältig gestalteten Katalog mit kenntnisreichen Aufsätzen, die den didaktischen Anspruch der Ausstellung unterstreichen,
auch ökonomische und soziale Aspekte des französischen Kunstschaffens zu Beginn des 20. Jahrhunderts einzubeziehen.

Fink, A., Grammont, C., Helfenstein, J. (Hrsg.): Matisse, Derain und ihre Freunde. Die Pariser Avantgarde 1904-1908. Basel/Berlin 2023 (Kunstmuseum Basel/Deutscher Kunstverlag), 266 Seiten, €58.00.

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs
ist hier zu finden.