Medien und Journalismus

Maria Netter: Augenzeugin der Moderne

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Die Journalistin Maria Netter (1917-1982) war in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine der einflussreichsten Kunstkritikerinnen der Schweiz. Dass sie auch eine ausgezeichnete Fotografin war, zeugt im Museum Tinguely vom 28. Oktober 2015 bis 7. Februar 2016 eine von Annja Müller-Alsbach sorgfältig gestaltete Ausstellung von über 100 Foto-Reproduktionen mit informativen Texttafeln. In Berlin geboren, kam Maria Netter 1936 zum Studium der Theologie und später der Kunstgeschichte nach Basel, wo sie, nicht nur in der Kunstszene eng vernetzt, ein Leben lang blieb. Nach der Promotion bei Joseph Gantner (Dissertation: «Die Postille des Nikolaus von Lyra in ihrer Wirkung auf die Bibelillustration des 15. und 16. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der ‹Icones› Hans Holbeins d.J.») arbeitete sie anderthalb Jahre als Assistentin des Kunstmuseum-Direktors Georg Schmidt und gleiste ihre Karriere als Kunstjournalistin auf. Sie schrieb zuerst für die «Basler Nachrichten», seit 1943 hauptsächlich für die «National-Zeitung», die «Luzerner Neusten Nachrichten», das «St. Galler Tagblatt» und «Die Tat». Später wurde sie als regelmässige Mitarbeiterin des Architekten- und Werkbund-Organs «Werk» beim Fachpublikum zu einer landesweit beachteten progressiven Stimme. Auch die Fachpublikationen «Graphis» und die «Schweizerische Finanzzeitung» boten ihr eine Plattform, ebenso wie die «Die Weltwoche» und die «Schweizerischen Monatshefte». Ihr sicheres und eigenständiges Urteil, ihr ungeheurer Fleiss und ihre Hartnäckigkeit machten es Maria Netter möglich, sich in der von Männern dominierten ersten Liga der helvetischen Kunstkritik einen der vordersten Plätze zu sichern. Das Fotografieren, das sie sich selbst beibrachte, integrierte sie schon früh in ihre Arbeit. Ihre Kleinbild-Leica M3 mit dem lichtstarken Objektiv, das auch Innenaufnahmen ohne Blitz möglich machte, war immer dabei. So wurde sie auch bildmässig zur Augenzeugin der Moderne. Sie dokumentierte Ausstellungen und Atelierbesuche und porträtierte viele der Künstler, über die sie schrieb. Mit dem Rückblick auf die Kunstjournalistin Maria Netter ergänzt das Museum Tinguely seine Reihe mit Arbeiten von Künstler-Fotografen und -Fotografinnen. Sie begann im Frühjahr 2012 mit den Bildern der Baslerin Vera Isler (1931-2015) und setzte sich ein Jahr später mit einer Präsentation der Werke des holländischen Kurators Ad Petersen fort. Von Maria Netter wurden die Exponate aus über 20’000 Aufnahmen ausgewählt, die nach ihrem Tod der Schweizerischen Stiftung für Photographie übergeben wurden. Seit 2014 befindet sich der Nachlass als Dauerleihgabe der Winterthurer Fotostiftung Schweiz beim Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) in Zürich.

Die Publikation «Augenzeugin der Moderne 1945-1975. Maria Netter, Kunstkritikerin und Fotografin» von Bettina von Meyenburg und Rudolf Koella ist im Verlag Schwabe in Basel erschienen, 276 Seiten CHF 48.00.

Eine Besprechung des Buches
folgt demnächst hier.

Illustration: Maria Netter fotografiert sich 1960 im Spiegel © Maria Netter/SIK-ISEA, Zürich/Courtesy Fotostiftung Schweiz

Wem nützt die Kampagne gegen Tagi-Chefredaktor Res Strehle?

Seit das rechte Kampfblatt «Weltwoche» eine Kampagne gegen Res Strehle, den Chefredaktor des Zürcher Tages-Anzeigers, reitet, streitet die Schweizer Journalisten-Gemeinde über Details aus der Biografie des Kollegen. Die aufgeregte Debatte, die auf der Website «Medienwoche» besonders leidenschaftlich geführt wird, bot mir Anlass zu folgendem Ordnungsruf:

Kolleginnen, Kollegen! Was für eine kleinkarierte, rechthaberische Debatte! Alle, die sich, hier und anderswo, über die in der Branche allseits bekannte Biografie Res Strehles wichtig tun, lassen sich zu Komplizen der «Weltwoche» machen und verfehlen die entscheidende Frage: Was ist der Zweck der Kampagne? Wem soll sie nützen? Schaut auf das Schrumpfblatt «Basler Zeitung»! Der rechtsliberale und nationalkonservative Kreis um die Geldgeber und Strippenzieher Tettamanti und Blocher hat sich die wohlfeile BaZ als Sprachrohr ausgewählt, weil er fest daran glaubt, dass der Besitz einer Tageszeitung geeignet ist, auf die Politik Einfluss zu nehmen. Sie wollen den links-grünen Mainstream der urbanen Zentren in die bürgerlich-konservative Richtung wenden. In ihrem elitären Weltbild sind Medien Propaganda-Instrumente. Journalisten, die dieses – notabene längst obsolete – Konzept umsetzen, gerieren sich, wie Markus Somm, als Missionare – oder sie sind einfach opportunistische Zyniker.

Res Strehle, der nächsten Monat 62 wird, und sein Verleger mögen noch einige Zeit standhalten, aber in Basel hockt der Köppel-, Gut- und Blocher-Kumpel Somm schon in den Startlöchern. Seitdem die BaZ vom Ex-Tagi-Mann Rolf Bollmann geleitet wird und der Druckauftrag bei Tamedia landete, scheint ein weiteres Zusammengehen logisch. Dafür müsste aber in Zürich eine neue Richtung eingeschlagen werden. O-Ton Bollmann http://www.onlinereports.ch/News.109+M5634ed39f49.0.html): «Die Integration der BaZ in ein Mantelkonzept, ob mit dem «Tages-Anzeiger» oder einer anderen Zeitung, steht im Widerspruch zur Positionierung der BaZ, wie sie von den Inhabern gewünscht wird.» Die Position der BaZ nach den Vorstellungen ihrer Besitzer ist am bürgerlichen rechten Rand. Die Diffamierung der Spitze des Tagi als «links» oder gar als «linksextrem» ist als Trommelfeuer zur Vorbereitung des Gefechtsfelds zu lesen. Der Angriff erfolgt, wenn die Zeit reif ist. In jedem Fall bleibt Strehle für den Rest seiner Zeit auf dem Chefposten in der Defensive: Ein erstes Ziel ist damit erreicht. Gut möglich, dass als nächstes die ganze «linke» («links-liberale», «links-grüne») Richtung des Tagi drankommt. Affaire à suivre.

Geschichte der «Basler Zeitung»

Walter Rüegg, früher Radiodirektor und zwischendurch auch einmal Verlagsleiter der «Basler Zeitung», hat mit jungen Medien-Forschenden der Uni Basel ein Buch über Aufstieg und Niedergang der BaZ verfasst. Der vom Christoph Merian-Verlag herausgegebene Forschungsbericht unter dem merkwürdigen Titel “Herausgefordert” – Wer ist oder war „herausgefordert“? Die Öffentlichkeit? Das Unternehmen? Die Autorinnen und Autoren? – hat drei Schwerpunkte. Im ersten werden die Vorgänger-Blätter der «Basler Zeitung» – «Basler Nachrichten» und «National-Zeitung» – porträtiert und in der Schweizer Presselandschaft der späten sechziger und frühen siebziger Jahre verortet. Der zweite erzählt die Geschichte der Fusion der beiden ungleichen Blätter, und der dritte das Auf und Ab der BaZ bis sie in Tettamantis und Blochers Hände fiel. Im Anhang schliesslich kommen Medienschaffende, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler in Gastbeiträgen zu Wort. Eine kritische Würdigung des Werkes steht hier.

Walter Rüegg (Hrsg.): Herausgefordert. Die Geschichte der Basler Zeitung. Basel 2012 (Christoph Merian Verlag). 352 Seiten, CHF 34.00.

Bizarres Spiel um Macht

In seinem Buch «Enteignete Zeitung?» erzählt der Journalist Christian Mensch die turbulente Geschichte der «Basler Zeitung» als «Lehrstück über den Medienwandel». Der Autor stützt sich zum grössten Teil auf eigene, früher publizierte Recherchen und auf Gespräche mit Akteuren. Als Ergänzung und zur Vertiefung fügte er je einen Essay über die «Medienambitionen der Rechtsbürgerlichen» und «Die Repolitisierung des Journalismus» hinzu. Und der Zürcher Mediensoziologe Kurt Imhof ist mit einem klugen Nachwort über die «Bröckelnde Bürgerlichkeit» präsent. Hier geht es zur ausführlichen Besprechung…

Christian Mensch: Enteignete Zeitung? Basel 2012 (Schwabe). 240 Seiten, CHF 24.00

Felix Stössinger – Interniert in Schweizer Flüchtlingslagern

Für seinen Stiefsohn Hans Michael Freisager war Felix Stössinger «einer der intelligentesten Menschen, denen ich je begegnet bin. Einer der gebildetsten und belesensten und in jeder Hinsicht integer. Und eine Mensch, der einen Bekanntenkreis hatte, der fast nicht fassbar war. … Er kannte buchstäblich alle.» Tatsächlich war der Journalist und Verleger Felix Stössinger, am 25. August 1889 in Prag als Felix Alfred Stösseles geboren, ein politisch und kulturell erstaunlich weit vernetzter Mensch. Prag, Berlin und Wien waren seine Wirkungsstätten. In Paris hatte er studiert. Seine zehn letzten Jahre lebte er in Zürich, geduldet als Flüchtling und Literat, mit wenig Kontakt zur lokalen Szene. Er schrieb für den «Aufbau» in New York und für die «Neue Schweizer Rundschau», er wirkte als Übersetzer und Herausgeber vor allem für den Manesse Verlag. Felix Stössinger starb am 31. August 1954 in Zürich. Die Aufzeichnungen über seine dramatische Flucht aus Frankreich und sein Tagebuch über die Zeit der Internierung in der Schweiz fasste Stössinger unter dem Titel «Zwischen Tell und Gessler» zusammen. Nach seinem Tod, erinnert sich Michael Freisager, habe sich seine Mutter vergeblich bemüht, einen Verlag zu finden. Und noch in den neunziger Jahren, schreiben die Herausgeber, sei das Typoskript in erster Linie als historische Quelle verwendet worden. Erst der Verlagsleiter des Basler Merian-Verlags habe sich begeistert für die Publikation eingesetzt. Zu Recht! Denn Stössinger berichtet nicht nur höchst lebendig, mit Witz und in der Tradition des klassischen Reporters, er kommentiert seine Erlebnisse und Beobachtungen zusätzlich mit kritischer Distanz und intellektueller Schärfe. Eine ausführliche Besprechung des Buches gibt es hier.

Simon Erlanger. Peter-Jakob Kelting (Hg.): Interniert in Schweizer Flüchtlingslagern. Tagebuch des jüdischen Autors Felix Stössinger 1942/43. Basel 2011 (Christoph Merian Verlag), 544 Seiten, CHF 38.00, € 28.00.

Selbstbewusste Journalisten

Wie langwierig das Aufräumen und Entsorgen von Archivschachteln und verstaubten alten Zeitschriften ist, weiss jede und jeder, die sich im fortgeschrittenen Alter auf einen Umzug vorbereitet. Stundenlang hockt man auf dem Boden und liest, was man vor vielen Jahren weglegte, um es später als Erinnerungsstütze zu nutzen oder der Nachwelt zu erhalten. Die «Stern»-Ausgaben mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern gehören zweifellos zu dieser Art von Erinnerungsstücken. Jetzt, beim Blättern in den staubigen Zeitschriften, zeigt sich aber, dass weniger die in vielen Publikationen beschriebene Fälschungs-Geschichte bleibendes Interesse verdient, als vielmehr der Aufstand der «Stern»-Redaktion gegen die Art, wie die Verlagsmanager die Krise zu bewältigen suchten. Klar, dass die verantwortlichen Chefredaktoren sofort zurücktreten mussten. Ebenso klar, dass sofort neue Leute nachrücken sollten. Als aber Herausgeber Nannen und Verleger Schulte-Hillen über Nacht und ohne Konsultation der Redaktionsgremien zwei für ihre konservativen Ansichten notorische Kollegen installieren wollten – Johannes Gross und Peter Scholl-Latour – brach ein Sturm los, den man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Knallhart und selbstbewusst stellten die Redaktorinnen und Redaktoren ihre Forderungen und verteidigten ihre Rechte. Was für ein Kontrast, wenn wir daran denken, dass in der Schweiz (und nicht nur hier) die progressiven Journalistinnen und Journalisten schon vor Jahren Deckung in einer «Mediengewerkschaft» gesucht haben, und dass sie nun daran sind, sich in einem noch grösseren Gebilde zu verkriechen – in der (falschen) Hoffnung, auf diese Weise irgendwann, vielleicht, wenigstens wieder einen Tarifvertrag mit den Verlegern durchsetzen zu können. Man mag einwenden: Damals beim «Stern» sei es leicht gewesen, gemeinsam zu handeln, da das journalistische Selbstverständnis auf elementare Weise verletzt worden war. Heute wäre es unmöglich und töricht, eine Redaktion zu besetzen. Gewiss! Heute müssten wir zuerst darüber diskutieren, ob es das überhaupt noch gibt: ein gemeinsames journalistisches Selbstverständnis. Die Lektüre des denk-würdigen Tagebuchs der «Stern»-Redaktion tut in jeder Hinsicht gut: als Mutmacher und historisches Lehrstück. Mehr... Und auch die Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland verdienen es, aufbewahrt zu werden. Hier steht eine Auswahl, die der «Stern» publizierte, zur Verfügung.

Zwei Berner Bürgersöhne

Praktisch gleichzeitig erhielten zwei aus Bern stammende Publizisten bürgerlicher Herkunft eine Biografie: Der Professor und liberale «Weltchronist» Jean-Rudolf von Salis (oben) und der Kommunist Harry Gmür (unten). Es ist höchst aufschlussreich, die beiden völlig verschiedenen Lebensläufe neben einander zu erkunden und dabei neben dem Trennenden das Verbindende zu entdecken: Hier der extravertierte, nicht uneitle Geschichtsprofessor aus aristokratischem Haus, der sich zeitlebens in der Öffentlichkeit scheinbar leidenschaftslos diplomatisch-vorsichtig ausdrückte; dort der introvertierte, von innerem Feuer brennende, in seinen öffentlichen Rollen als Publizist und Politiker immer kämpferisch auftretende Einzelgänger. Beide gehörten – von Salis mit Jahrgang 1901, Gmür mit Jahrgang 1908 – derselben Generation an.
Beide machten während des Studiums im Ausland für ihr Leben entscheidende politische und kulturelle Erfahrungen. Beide waren – jeder auf seine Weise – unzweifelhaft überzeugte Patrioten. Und beide hatten in ihrem politischen Sensorium einen blinden Fleck: Gmür interpretierte die europäische Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg als antikommunistische Verschwörung und übersah die friedensstiftende Idee hinter dem Konzept, während sich von Salis nie von seiner eurozentrischen Perspektive lösen konnte. Die Entkolonialisierung Afrikas, die Harry Gmür mit Enthusiasmus begleitete, lag weit ausserhalb seiner Interessen. Gemeinsam war den beiden ungleichen Zeitgenossen, dass sie in ihren Milieus mit Misstrauen beobachtet wurden. Jean-Rudolf von Salis, der seinen Standpunkt selbst als «liberal-sozial» umschrieb, geriet wegen seiner Distanzierung vom grassierenden Antikommunismus der offiziellen Schweiz und seinem leidenschaftlichen Engagement für eine offene, niemanden ausschliessende politische Debatte in den Ruch, heimlich ein Linker zu sein. Und Harry Gmür machte sich mit der freundlichen und humorvoller Art seines Umgangs mit Andern bei vielen seiner Genossen verdächtig. Der Staatsschutz hatte beide während Jahrzehnten im Visier. Eine ausführliche Besprechung der Biografie Harry Gmürs findet sich hier. Und auch die Rezension des Buchs über Jean-Rudolf von Salis beginnt hier.

Hagiograph Somm

Markus Somm, der vor Jahren beim eher liberalen Tagi arbeitete und nun bei der rechtsaussen köppelnden Weltwoche in Lohn und Brot steht, hat merkwürdige 528 Seiten über Christoph Blocher geschrieben – merk-würdig vor allem, weil sich der Autor als Konvertit outet. Aus dem einstigen Kritker wurde ein Hagiograph. Nach traditioneller Berufsauffassung hat der Mann damit seinen Beruf an den Nagel gehängt. Dagobert Lindlau, bis 1992 Chefreporter der ARD, hat einmal von der «Korruption der Anteilnahme» gesprochen: «Wenn du anfängst zu verstehen, kannst du nicht mehr verurteilen, oder schlecht. Du sagst von einem Politiker, das ist ein echtes Schwein, und dann lernst du ihn kennen und erkennst die Zwänge, in denen er steckt, und fragst dich, wahrscheinlich hätt’ ich das selbst nicht anders gemacht, sehr gefährlich: Du wirst korrumpiert durch Verstehen. Die Distanz, die man als Journalist braucht, die aus Selbstgefälligkeit kommt, ist schwer zurückzuerobern. … Es gibt und es muss geben einen Antagonismus zwischen Politiker und Journalist. Dass sich Politiker und Journalist in den Armen liegen, gibt es nur in totalitären Staaten. Es ist gesund für den Stoffwechsel eines Staates, wenn Politiker und Journalisten sich nicht einig sind.» Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Margrit Sprechers DRS 2

«Das andere Radio – DRS 2» von Margrit Sprecher ist ein schönes Jubiläumsbuch zum 25sten. Schöne Bilder, schönes Layout. Und die – zum Teil – ironisch-distanzierten Texte tun dem Glanz keinen Abbruch. Im Gegenteil: Sie zeigen, dass die Autorin ihren journalistischen Auftrag, beim Erkunden und Beschreiben des unbekannten Geländes auf dem Basler Bruderholz ernst nahm. Wie tickt die Elite der Schweizer Kulturjournalisten? Machen sie einfach ihren Job? Fühlen sie sich erfüllt von einem einem Auftrag? Glauben Sie gar an eine Mission? Eine gute Reporterin beteiligt alle ihre Sinne, wenn sie auf solche Fragen Antworten sucht. Sie hält Augen und Ohren auch offen, wenn sie bloss unbeteiligt anwesend ist. Sie nimmt Spannungen wahr und erfasst das Klima eines Ortes, auch wenn niemand mit ihr darüber spricht. Sie registriert Zwischentöne und zieht ihre Schlüsse daraus. Und dann schreibt sie alles, was sie gehört, gesehen, gerochen und intuitiv erfasst hat , so auf, wie es ihr Reporterinnen-Beruf verlangt. Geradeheraus, schön konturiert, gut lesbar und mit Subjektiviät gefärbt. Wenn sich darüber in der Leitung von DRS 2, wie es heisst, «Entsetzen breit gemacht hat», dann ist das nicht der Autorin anzulasten. Hier geht’s zur Rezension

Plädoyer für mehr Sachlichkeit

Alex Reichmuth, 40, gelernter Naturwissenschaftler und Radiojournalist dazu, belegt in seinem Buch «Verdreht und hochgespielt», wie schwierig es ist, der derzeit populären Angstmacherei in Umwelt- und Gesundheitsfragen rationale, wissenschaftlich fundierte Forschungsergebnisse entgegen zu setzen, ohne schwarz-weiss zu malen, aber auch ohne Furcht vor den hervorragend aufgestellten Obskuranten-Organisationen. Sein «Plädoyer für mehr Sachlichkeit und weniger Ideologie» ist in seinem ständigen Bemühen um emotionslose Objektivität zwar todlangweilig zu lesen, die Fülle der dargebotenen Fakten macht es aber zur Pflichtlektüre für alle, die sich noch der Aufklärung und der Ratio verbunden fühlen.

Schon beim Schreiben meiner Besprechung von Al Gore‘s Buch «Angriff auf die Vernunft», in dem der frühere amerikanische Vizepräsident die systematische Emotionalisierung der amerikanischen Politik beklagt, fragte ich mich, wie weit es in dieser Hinsicht hierzulande mit uns gekommen ist. Zwar ist unser Bildungsniveau höher, und der religiöse Obskurantismus hat nicht denselben Einfluss auf die Politik wie in den USA. Aber schleichen sich nicht auch bei uns die Anti-Aufklärer auf leisen Pfoten durch unsere politischen Oberstübchen? Reichmuth bietet einige Beispiele von Kampagnen gegen Amalgam und Mobilfunkstrahlen, er schreibt über die Vogelgrippe-Hysterie und den besonders nachhaltig orchestrierten Feldzug gegen die Agrobiotechnologie und berichtet über die Unterdrückung der Meinungsvielfalt in Sachen Waldsterben, Klimawandel und Acrylamid. Er tut dies aber im grossen Ganzen ohne die politischen und ökonomischen Zusammenhänge angemessen zu berücksichtigen.

Folgerichtig kommt die Begeisterung des Publikums für so genannte alternative Heilmethoden nicht vor. Weshalb haben 140’000 Bürgerinnen und Bürger dazu überreden lassen, ein Volksbegehren zu unterschreiben, das die Geschäfte von Homöopathen, Anthroposophen, Neuraltherapeuten und anderen Heilpraktikern durch die Grundversicherung absichern soll. Dass es keine wissenschaftlich-rationalen Beweise für die Wirksamkeit der Methoden gibt und sie mithin Glaubenssache sind, focht die Unterschreibenden nicht an. Kein Zweifel: Wunder nehmen wir alle immer mal wieder dankbar an. Und ja: Viele, die sich auf ihren knallharten Rationalismus etwas einbilden, schwören heimlich auf allerlei Hausmittelchen und Hokuspokus – selbstverständlich auf eigene Kosten.

Besonders befremdlich scheint auf den ersten Blick, dass ausgerechnet die Linken, historisch die leidenschaftlichsten Apologeten des rationalen Diskurses, auf Seiten der Gefühlsakrobaten agieren. Aber so ist halt das politische Geschäft: Als grosses Sammelbecken der Gesundheits-Branche, die in erster Linie vom boomenden Geschäft profitiert, opfern die Sozialdemokraten ihren aufklärerischen Ansatz der Wellness ihrer Wählerschaft. Ähnliches geschieht leider auch auf anderen Gebieten. Alle Parteien, wie gesagt: bedauerlicherweise auch die linken, scheuen davor zurück, sich den Angstmachern entgegen zu stellen. Flurschäden, zum Beispiel in der Wissenschaftspolitik, nehmen sie – allen wohlfeilen Bekenntnissen zur Forschungsfreiheit und zum wirtschaftlichen Wert der Forschung in einem ressourcenarmen Land zum Trotz – ohne weiteres in Kauf.

Die Medienschaffenden sind nicht nur in den USA Teil der Emotionalisierung, auch hierzulande machen sie es sich, wie Alex Reichmuths Materialsammlung eindrücklich zeigt, im Seitenwagen von Umwelt- und Gesundheitsapostel-Unternehmern bequem. Leider wäre es falsch, auf bessere Einsicht zu hoffen. Träumen ist aber erlaubt – träumen von einer Zukunft, in der es schick ist und als journalistisch hip gilt, kritisch, distanziert und rational über technische und wissenschaftliche Errungenschaften zu berichten.

Hier gibt es mehr über Reichmuths Buch.

Die Besprechung von Al Gores kritischen Beschreibung der amerikanischen Gesellschaft steht hier als PDF zur Verfügung.

Süss und bitter

Bücher von befreundeten Kolleginnen und Kollegen zu besprechen ist heikel, weil immer die Gefahr besteht, dass man nicht wagt, eine verständdliche Beisshemmung zu überwinden. Umso mehr Freude machen die seltenen Fälle, in denen es ein rundum gelungenes Unternehmen anzuzeigen gibt: Jetzt zum Beispiel Silvana Schmids Biografie ihrer Mutter Lify Bucher «Süss & bitter». An dieser Arbeit gibt es nichts auszusetzen. Die entwicklungsromanhafte Lebenbeschreibung ist spannend zu lesen; der Text wahrt bei aller Empathie immer journalistische Distanz; und das gewundene Auf und Ab des langen Lebens der 1899 in Pegli bei Genua geborenen und 1999 gestorbenen Enkelin des Obwaldner Tourismus-Pioniers Franz Joseph Bucher ist so sorgfältig in den Lauf der Historie eingebettet, dass daraus ein Jahrhundert-Panorama entsteht. Weil das Buch als journalistisches Juwel erscheint, haben wir es dem Bereich «Medien und Journalismus» zugeordnet. Hier geht’s zum Text der Rezension.

175 Jahre Ringier

2008 ist es 175 Jahre her, dass in Zofingen der Pfarrersohn Johann Rudolf Ringier eine Buchdruckerei gründete. Wie daraus der grösste Medienkonzern der Schweiz wurde, beschreibt eine – im Doppelsinn – glänzende Festschrift von Karl Lüönd. Weil beim besten Willen auf über 500 schön gestalteten Seiten nicht alles ausgebreitet werden kann, was die hiesige Medienwelt ringgimässig bewegte und bewegt, erlaube ich mir, meine Rezension mit historischem Material aus den achtziger und neunziger Jahren etwas anzureichern. Das Material stammt zum grossen Teil aus meiner Zeit beim KLARTEXT und ist geeignet, bei einigen gestandenen Kolleginnen und Kollegen nostalgische Gefühle zu wecken und den Jüngeren daran zu demonstrieren, was den Adrenalinspiegel vor zwanzig, dreissig Jahren in die Höhe trieb.

Hier ist die Besprechung von Karl Lüönds Festschrift zu finden.

Und hier geht‘s direkt zu den Archivstücken.

«Medienhypes» am Radiosymposium

Beim Lesen meines Bericht über das 4. Radiosymposium am 13. November könnte der Eindruck entstehen, dass es sich beim Thema «Medienhypes», über das zwischen den kritisierenden Wissenschaftlern und den Medienpraktikern offensichtlich Uneinigkeit herrschte, um nichts als eine kurzlebige Dampfblase handle. Das Gegenteil ist richtig: Der Befund, dass die Medienwelt angesichts eines allgemein aufregenden und emotional aufwühlenden Vorgangs heute häufiger zu lemminghaftem Verhalten neigt, ist zweifellos richtig. Der «Fall Seebach» ist ein musterhaftes Beispiel für die Tendenz des Systems zur freiwilligen Gleichschaltung. Ich halte es deshalb für wichtig, die argumentativen Einzelteile, die im Lauf des Symposiums dazu geäussert wurden, etwas vom Ballast beiläufigen Blablas zu befreien. Als Voraussetzungen für Hypes wurde mehrfach die Konsum- und Einschaltquoten-Orientierung der Medien-Unternehmen genannt. Verleger aller politischen Couleur definierten sich und ihre Unternehmen früher als Teil des demokratischen Service public. Die Privilegierung der Presse bei der Posttarifen zeigt, wie sehr dieses Selbstbild allgemein akzeptiert war. Und wie die Verleger verhielten sich auch ihre Angestellten, die Medienschaffenden. Sie reklamierten, mit einer Mischung aus Berufsstolz und Arroganz, die publikums-affine Deutungshoheit über den Lauf der Dinge für sich. In ihrem vielstimmigen, von keinem Dirigenten gestörten Meinungskonzert war, ihrer Ansicht nach, immer die ganze Wahrheit enthalten. Es ist logisch, dass der Wandel der Verlagshäuser zu – oft von branchenfernen, bonus-verwöhnten Managern geleitet – «gewöhnlichen» Unternehmen auch das Selbstverständnis der Medienschaffenden veränderte. Heute kann man einen Journalisten-Job zweifellos auch ohne feu sacré gut machen. Wo aber, wie leider oft, der früher selbstverständliche dicke Rucksack an Allgemeinbildung durch flott-forsche Oberflächlichkeit kompensiert wird, fehlen das Selbstbewusstsein und der Mut, sich auch ausserhalb des Mainstreams wohl zu fühlen. Was wir sehen, sind kommunizierende Röhren: Der wirtschaftliche Umbau des Mediensystems zieht einen Wandel des journalistischen Berufsbilds (und damit des journalistischen Selbstverständnisses) nach sich. Was tun? Die Konsumorientierung der Medienwirtschaft ist gesellschaftlich offensichtlich akzeptiert. Das heisst aber nicht, dass deswegen grundsätzlich kein guter, hochprofessioneller Journalismus möglich wäre. «Man muss es nur wagen», wie SRDRS-Chefredaktor Ruedi Matter richtig sagte. Die SRG-Unternehmen, die im Bereich der Information als Leitmedien unbestritten sind, haben es in Ausbildung und Redaktionskultur in der Hand, etwas zu tun. Noch mehr müsste man von Universitäten und Fachhochschulen verlangen, die den Studierenden das systematische kritische und selbstkritische Denken einpflanzen sollten. Ursula Pia Jauchs Lamento im Ohr, sind Zweifel angebracht, ob dies noch geschieht (oder – im credit-points-getriebenen Studium – überhaupt geschehen kann).

Es war Kurt Imhofs Handicap, dass es nicht gelang, dem Symposium eine kohärente Definition des Hypes vorzulegen. Die Schnittmenge der Beispiele – Seebach. Rütli, Waldsterben, Paris Hilton – war zu klein; die Belege, dass da ein übergreifendes Phänomen beobachtet wurde, waren dürftig. Gewiss: Der Ansatz ist anregend, aber eben nur als Ansatz, als Arbeitshypothese. Verstörend wirkte zudem die Beweisführung mit Hilfe von simplen (wenn auch sicher aufwändigen) quantitativen Inhaltsanalysen. Die vermögen vielleicht, die Teilnehmer eines kultursoziologischen Seminars vom Hocker zu reissen, aber altgediente Medienpraktiker können sie nicht überzeugen. Ohne eine sorgfältige qualitative Analyse, die auch – ich denke an das Waldsterben – den historischen Verlauf der Ereignisse berücksichtigt, kann nur Oberflächliches resultieren. Was ausserdem fehlte, war die Einbettung der medialen Phänomene in die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt. Redaktionen arbeiten nicht in Raumkapseln ohne Verbindung zur realen Welt, in der lieber fern gesehen als gelesen, lieber DJ Bobo als Charlie Parker gehört, lieber bei McDonalds als in der Eckkneipe gegessen wird. Selbstverständlich würde die Berücksichtigung all dessen
«zu weit führen». Selbstverständlich! Aber diese Lücken müssten sich doch in der Formulierung von Forschungsergebnissen niederschlagen. Das Sammeln von Äpfeln, Birnen und Blutorangen im gleichen Korb, müsste begründet werden. Leider geschah das bisher nicht. Ja, Hypes sind ein reales Problem der aktuellen Medien-Wirklichkeit. Der «Fall Seebach» ist dafür ein gültiges Lehr-Stück. Aber die übrigen Beispiele passen (noch) nicht ins Puzzle.

Und noch etwas Grundsätzliches: Wo beginnt die Gleichschaltung überhaupt? Ab wann wird der «politisch-publizistische Konflikt», den Kurt Imhof als konstituierende Konstante der Demokratie definiert, ausgeschaltet? Soll es Tabuzonen geben? Einen von allen Medienschaffenden respektierten Grundbestand von allgemein anerkannten Werten? Als jemand von Kurt Imhof wissen wollte, ob er glaube, die Rassismus-Strafnorm schränke die Medienfreiheit ein, verneinte er – aber auf ungeschickt zweideutige Art. Weniger verfänglich gefragt: Wie würde er antworten, wenn sich ein Konflikt um eindeutig antiaufklärerische Inhalte drehte? Haben zum Beispiel Kreationisten, wie sie selbst glauben, Anspruch auf Medienpräsenz?

Über Schraubdeutsch und PushUp-Speak

Der Neusprech (George Orwells «Newspeak») unserer Tage dient nicht mehr nur der Verschleierung einer autoritären Herrschaft, sondern sättigt, wie der Zürcher Radiologie-Professor Werner Baumann in einem teils amüsanten, teils bissigen Beitrag in der Schweizerischen Ärztezeitung feststellt, inhaltsarmes Blabla mit heisser Luft. Baumann zitiert in der Einleitung zu seinem «Taschenwörterbuch des Gesundheitswesens» das beispielhafte «Leerdeutsch» eines real existierenden «bio-psycho-sozialen Behandlungskonzepts». Neben dem Leerdeutsch dienen auch das «Dummdeutsch» (ein Begriff des Schriftstellers Eckhard Henscheid) und das «Schraubdeutsch» der Bedeutungsschwängerung von Banalitäten. Spassig ist Baumanns Übersetzung des Dampfplauderer-Idioms als «PushUp-Speak», die «wie das ähnlich benannte Damenbekleidungsstück, übersteigerte Erwartungen bezüglich Höhe und Volumen des Inhaltes» wecke. Leider entwertet der Autor seinen lobenswerten Ansatz indem er im Schlagwortverzeichnis die für das Ärztemilieu typischen politischen Duftmarken setzt. Für Journalistinnen und Journalisten kann Baumanns Wörtersammlung gleichwohl als Anregung dienen, sich von den Dampfblähungen der Verlautbarungen von Parteien, Verbänden und Interessengruppen nicht verführen zu lassen. Allzu oft, da hat Baumann Recht, dienen Imponier-Vokabeln wie «Handlungsbedarf», «kostenneutral» oder «thematisieren» zum Aufhübschen von Selbstverständlichkeiten. Bedenkenswert: Das Modewort «nachhaltig», das ursprünglich «dauerhaft» bedeutete, ist «inzwischen zur leerdeutschen Worthülse mit universaler Verwendung verkommen».