Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow im Schaulager in Münchenstein

Wenn zwei Künstler eine Zusammenarbeit vereinbaren, heisst das nicht, dass sie sich gemeinsam an einem Ort an die Arbeit machen. Der kreative Prozess, zeigt sich auch am Projekt «Zita – Щара. Kammerstück von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow», das vom 12. Juni bis zum 2. Oktober 2016 im Schaulager in Münchenstein bei Basel zu sehen ist, verläuft eigenwillig und widersetzt sich gewöhnlich jeder banalen Kooperation. «Zita», der Beitrag, den die 1956 in Essen geborene Künstlerin zum «Kammerstück» beisteuert, nimmt Bezug auf die letzte Kaiserin der am Ende des Ersten Weltkriegs untergegangenen Habsburger Monarchie.
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Er besteht aus zwei leuchtend farbigen Werken. Das erste, eine Gruppe von drei Figuren – zwei Bauernfrauen und ein Bauernkind, den kleinen, kunstvoll aus Maisstroh gefertigten Figuren aus dem Repertoire des traditionellen slowakischen Kunsthandwerks nachgebildet – ist im ersten von drei Räumen eines eigens für diese Präsentation im Erdgeschoss des Schaulagers aufgebauten Gehäuses platziert. Die mit der Spritzpistole leuchtend gelb pigmentierten Gestalten sind das Erste, was die Besucher sehen – eine Art Begrüssungskomitee, dem Publikum frontal zugewandt. Zuvorderst steht das Kind mit einem grünen Ball, dahinter die Magd mit Besen und roter Schürze, daneben die Mutter mit einem weissen Tuch über dem rechten Arm. Wer sich im Raum umsieht, erkennt allerdings, dass die Figuren ihre Aufmerksamkeit nicht nur den Ankömmlingen zuwenden, sondern auch dem rechts vom schmalen Eingang platzierten Kachelofen. Die Tür zum Feuerraum ist offen. Zu sehen ist ein Feuerschein und einige
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schwarze Holzscheite. Doch die von Alexej Koschkarow geschaffene, glänzend weiss bemalte Ofen-Skulptur irritiert nicht nur durch den gefährlich offenen Feuerraum, sondern durch ihre ganze Gestalt: eine explodierende Handgranate. Folgen wir der Dramaturgie des «Kammerstücks» von Fritsch und Koschkarow, so findet in diesem Raum der erste Akt statt, repräsentiert durch die (nur angeblich) heile Welt im weitläufigen Kakanien, die durch den Ersten Weltkrieg beendet wird. Die Kaisersgattin Zita, geborene von Bourbon und Parma, lebte fortan im Exil und starb 96-jährig 1989 im Johannes-Stift in Zizers im Kanton Graubünden. Bei der Einbalsamierung der Leiche in Chur wurde das Herz entnommen und in der
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Familiengruft im Kloster Muri im Kanton Aargau (in dem auch das Stammhaus der Familie, die Habsburg, steht) bestattet. Die Trauerfeier im Wiener Stephansdom und die Überführung des Sarges in die Kaisergruft wurde in einer fünfstündigen Zeremonie mit allergrösstem Pomp und in Anwesenheit der gesamten Nomenklatura der Republik Österreich durchgeführt. Im Wissen um diese groteske Geschichte ist der aus billiger MDF-Platte hergestellte blaue Sarg auf orangen Böcken, mit dem Katharina Fritsch im zweiten Raum Zitas Auftritt in dem Kammerstück endgültig beendet.

Der Doppeltitel der Ausstellung – «Zita – Щара» – weist daraufhin, dass Alexej Koschkarow, 1972 in Minsk (Weissrussland) geboren, dort und in Düsseldorf ausgebildet, mit Zita, dem scheinbar unverwüstlichen Symbol der Donaumonarchie, wenig anzufangen weiss – zumal die Erinnerungen an das Erste und Zweite Weltkriegsgeschehen am Fluss Schtschara (Щара) und in ganz Weissrussland nicht nur in seiner Familie noch sehr lebendig sind. So trennen sich die Wege der Künstlerin und des Künstlers schon nach dem ersten Raum. Den dritten bespielt Koschkarow, der in New York lebt und arbeitet, mit eigenen Werken, von denen er eines, «Das was keinen Namen hat» genannt,
Festung
eigens für diese Ausstellung konzipiert hat. Es handelt sich um eine über zwei Meter hohe, schwarz-weisse Skulptur. Man kann sich gut vorstellen, das Kunst-Stück als Modell eines riesigen, begehbaren Denkmals zu sehen, dessen oberer Teil über Treppen und eine tunnelartige Zufahrt erreichbar ist. Dort öffnet sich, auf eine Seite hin, wie das aufgerissene Maul eines Molochs die Eingangshalle einer Festungsanlage, die von Geschütz-Scharten mit ihren Deckungen gekrönt wird. Und zuoberst, rings um den turmartigen Ausguck, halten drei kräftige, mit Kugeln und Stöcken bewaffnete, behelmte, nackte Amazonen mit drei Kampfhunden Ausschau. Gleich gegenüber diesem standfesten Sinnbild der Brutalität hat Koscharow seine Skulptur «Schtetl» platziert. Der aus kleinen Holzstücken zusammengesetzte, eigentlich Frieden und idyllische Harmonie ausstrahlende Häuserhaufen ist sofort als bedroht zu erkennen. Die ganze Anlage steht auf gebrochenen und notdürftig geflickten Stelzen. Und in der Mitte der Siedlung ist ein gewaltiges Beil zu sehen. Im Unterschied zum Schwert von Dionysos II. von Syrakus, unter dem der Schmeichler Damokles zum Festmahl geladen wurde, hat das Beil im
Schtetl
menschenleeren Schtetl schon eingeschlagen: Es steckt tief in einem Baumstrunk. Obwohl die beiden Werke in diesem Raum ohne Bezug zu einander entstanden sind – «Schtetl» von 2012 gehört zur Sammlung der Emanuel Hoffmann-Stiftung und ist als Dauerleihgabe im Basler Kunstmuseum deponiert – entsteht eine intensive, beklemmende Spannung zwischen ihnen. Sie wird noch verstärkt durch die an der Wand hängenden, vom Künstler «Smearings» genannten grauen Frottagen «Höllentor» (2012) und «Bellevue» (2014). Wer will, darf die beiden grossformatigen Leinwände als Abschluss des Kammerstücks betrachten und einen Bezug zum Anfang der Schau herstellen – zumal der Doppeladler sowohl als Symbol Österreich-Ungarns als auch – neuerdings wieder – der Russischen Föderation dient.
Adler


Wie eingangs angemerkt: Das Zusammenspiel der Arbeiten von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow ist reine Interpretationssache. Wie die Schönheit liegt es gänzlich im Auge des Betrachters. Der grosse intellektuelle Aufwand, die künstlerischen Leistungen der beiden unter einen Hut zu zwingen, scheint uns übertrieben. Es ginge einfacher und ehrlicher, und der Ernsthaftigkeit der Künstlerin und des Künstlers angemessener: Wie der grossartige Bildteil des Katalogs nämlich belegt, gibt es zwischen den beiden durchaus zahlreiche Gemeinsamkeiten. Sie betreffen weniger die Sujets, die Art ihrer Inspiration, als vielmehr der ungeheuren Sorgfalt, mit der sie ihre Ideen formen, variieren und schliesslich mit grösstem handwerklichem Geschick umsetzen. Es ist selten, dass man in der Publikation zu einer Ausstellung einen so tiefen Einblick in kreative Prozesse nehmen kann.

Die Ausstellung «Zita – Щара, Kammerstück von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow», ist vom 12. Juni bis 2. Oktober 2016 im Schaulager, Ruchfeldstr. 19 in Münchenstein bei Basel zu sehen. Öffnungszeiten: Donnerstag 13-19 Uhr, Freitag bis Sonntag 11-17 Uhr.
Der Eintritt ist kostenlos.

Katalog: Laurenz-Stiftung. Schaulager (Hrsg.): Zita – Щара, Kammerstück von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow. Mit Beiträge von Jacqueline Burckhardt, Robert Fleck, Julian Heynen und Michael Rooks. Münchenstein/Basel 2016. 168 Seiten, zweisprachig D/E, CHF 28.00

Fotos © 2016 Jürg Bürgi. Von oben nach unten: «Puppen» (Katharina Fritsch, 2016), «Kalter Ofen» (Alexei Koschkarow, 2016), «Sarg» (Katharina Fritsch, 2016), «Das was keinen Namen hat» (Alexei Koschkarow, 2016), «Schtetl» (Alexei Koschkarow, 2014), «Bellevue» (Alexei Koschkarow, 2014).

Michael Landy im Museum Tinguely Basel

Michael Landy, 1963 in London geboren, aufgewachsen und ausgebildet, erhält vom 8. Juni bis zum 25. September 2016 Gelegenheit, sein ganzes bisheriges künstlerisches Schaffen im Museum Tinguely in Basel zu präsentieren. Sein sagenhafter Akt der Selbstentäusserung, mit dem er 2001 unter dem Titel «Break Down» seine 7227 damaligen Besitztümer mit Unterstützung von zehn Helfern zuerst inventarisierte und dann zerstörte – und dem wir 2010 anlässlich der Ausstellung «Under Destruction» am
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gleichen Ort den «Pokal im Wettbewerb um die radikalste Aktion im Kampf zwischen Sein und Haben» zuerkannten – ist in der aktuellen Schau zwar weiterhin zentral präsent, er bildet jedoch nur eine von zahlreichen wohl durchdachten Manifestationen, mit denen sich Landy gegen die existenziellen Herausforderungen einer ungerechten Welt auflehnt. «DerAusstellungstitel ‹Out of Oder› und seine unterschiedlichen Bedeutungen», schreibt Museumsdirektor Roger Wetzel in der Einleitung zum Katalog, «konterkarieren ein Grundprinzip westlicher Konsumgesellschaften. Innovation und Erneuerungen stehen (geplanter) Obsoleszenz und dem Verschleiss durch Gebrauch (und Nicht-Gebrauch) gegenüber.» Verschlissen werden längst nicht nur Gegenstände, obsolet werden auch Menschen – wie Landy es am Beispiel seines, durch einen Arbeitsunfall invalid gewordenen Vaters eindrücklich darstellt. 1995 erfand er mit der Aktion «Scrapheap Services» eine allgemein gültige Metapher für diese organisierte Missachtung der Menschenwürde, indem er eine Putzequipe tausende von Papierfigürchen zusammenkehren und einen Teil dieser Fetzenhaufen zur Erinnerung in einem Glaszylinder aufspiessen liess. Auch an zahlreichen anderen Stellen der Ausstellung zeigt sich, mit wie viel Witz der Künstler seine Botschaften vermittelt. Gewiss: Es ist immer ein bissiger Humor, der uns hier begegnet – und den man in Basel besonders zu schätzen weiss. Das führt auf direktem Weg zu Jean Tinguely, als dessen grosser Bewunderer sich Landy erweist. Als junger Mann faszinierte ihn 1982 die spontane Bereitschaft der Besucher, bei der One-Man-Show in der Tate-Gallery mit den Maschinen zu spielen. Und später befasste er sich intensiv mit Tinguelys legendärem Zerstörungsspektakel «Homage à New York»: Er suchte Überbleibsel der Aktion von 1960; er befragte Zeitzeugen, und er versuchte eine Rekonstruktion des Ereignisses. Wie sich auf dem als Gang zwischen leeren Marktständen inszenierten Parcours zeigt, interessierte sich Michael Landy in den letzten Jahren auch für Heilige und andere fromme Menschen, deren legendäres Leben durch ihr dramatisches Scheitern geprägt war. Anlass dazu gab ihm die Konfrontation mit Gemälden aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die er 2010 bis 2013 als «Artist in Residence» in der Londoner «National Gallery» täglich um sich hatte. Es entstanden zahlreiche Gemälde und überlebensgrosse, zum Teil motorisierte Skulpturen. Insgesamt beeindruckt die von Andres Pardey und Michael Landy gemeinsam kuratierte Ausstellung «Out of Order» als wohl durchdachte, mit Witz, Intelligenz und grosser Sorgfalt gestaltete Werkschau. Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung und des Katalogs steht hier zur verfügung.

Andres Pardey (Hrsg, für das Museum Tinguely, Basel): Michael Landy. Out of Order. Basel/Heidelberg 2016 (Museum Tinguely/Kehrer Verlag). 240 Seiten, CHF 48.00. Der Katalog erschien in einer deutschen und einer englischen Ausgabe.

Illustration © Jürg Bürgi 2016