Pedro Reyes im Museum Tinguely: Return to Sender

Porträt Pedro Reyes (Lisson Gallery)
Gleich rechts neben dem Eingang hängt zum Auftakt der von Roland Wetzel kuratierten Ausstellung «Return to Sender» eine unscheinbare Schaufel. Ihre Bedeutung erschliesst sich erst, wenn man die Exponate im Vorraum zum «Mengele Totentanz» im Museum Tinguely gesehen und auch gehört hat. Als bisher fünfter zeitgenössischer Kunstschaffender nimmt der Mexikaner Pedro Reyes, geb. 1972, vom 24. Juni bis zum 15. November 2020 mit zwei Werkgruppen den Dialog mit Jean Tinguelys ikonischem Alterswerk auf. Der marxistische Pazifist, der auch gegenüber gewaltbereiten Befreiungsbewegungen Vorbehalte äussert, beschäftigt sich seit Jahren mit den Möglichkeiten, Waffen zu friedlichen Zwecken umzunutzen. Seine mehrteilige Arbeit «Disarm (Mechanized) II» von 2014, die in der aktuellen Ausstellung den grössten Teil des Raums einnimmt, besteht aus einem sechsteiligen Automaten-Orchester, das aus einem ganzen
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Arsenal von Feuerwaffen und ihren Einzelteilen besteht. Da gibt es ein Xylophon aus Gewehrläufen, eine «Kalashniclock» und weitere Schlag-Zeuge, die kraftvoll und witzig das Ende der Waffengewalt herbeitrommeln. (Spontan denken wir an Rolf Liebermanns Büromaschinen-Symphonie «Les Echanges», die 1964 an der Landesausstellung in Lausanne grosses Aufsehen erregte.) Weil Reyes seiner Überzeugung Ausdruck geben möchte, dass seine Installationen nicht allein am Elend der mexikanischen Drogen-Kriege festgemacht werden dürfen, sondern ein globales Problem aufgreifen, baute er im Auftrag des Tinguely-Museums drei Abrüstungs-Leierkästen. Die goldglänzenden Messinggehäuse der Drehorgeln erinnern an altmodische Registrierkassen. Statt der Geldschubladen ragen den Betrachtenden allerdings Schiesseisen entgegen. Die erste dieser «Disarm Music Boxes» spielt auf Läufen der österreichischen Marke Glogg eine Mozart-Melodie, die zweite funktioniert mit italienischem Beretta-Material und lässt Vivaldi erklingen, und die dritte gibt mithilfe von schweizerischen Karabiner-Läufen (Bild unten) ein Lied von Mani Matter zum Besten. Über die Erfolgsaussichten von Reyes’ Bemühungen, dem Weltfrieden mithilfe der Zweckentfremdung von Waffen Vorschub zu leisten, darf man gewiss geteilter Meinung sein: Was für einen Teil des Publikums Ausdruck eines realitätsfernen, romantischen Traums sein mag, ist für einen anderen Teil die poetische Manifestation eines handfesten Engagements. Denn die Schaufel, die da beim Eingang an der Wand hängt, ist nur eines von 1527 Grabwerkzeugen. Unter dem Titel «Palas por Pistolas» sammelte Reyes 2007 zusammen mit den Behörden von Culiacán,
KarabinerːMatter
der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Sinaloa, bei der Bevölkerung Waffen ein und tauschte sie gegen Haushalts- und Elektrogeräte. Die Gewehre und Pistolen wurden eingeschmolzen und zu 1527 Schaufeln geformt, mit denen eine gleiche Anzahl von Bäumen gepflanzt wurde. Auch die Schaufel aus der Ausstellung soll ihren Zweck erfüllen, indem sie im November direkt vor dem Museumseingang beim Pflanzen einer Kastanie eingesetzt wird.

Zur Ausstellung publizierte das Museum in einer englischen und einer deutschen Fassung in der Form eines Reglements der Schweizer Armee eine Broschüre, die ein ausführliches Interview von Roland Wetzel mit dem Künstler enthält.
Museum Tinguely (Hrsg.): Pedro Reyes. Return to Sender. (Basel, 2020) 26 Seiten.

Illustrationen: Porträt Pedro Reyes (Ausschnitt, Courtesy Lisson Gallery). Alle übrigen:
© Jürg Bürgi, Basel 2020 (Bilder aus der Ausstellung).