«Medienhypes» am Radiosymposium

Beim Lesen meines Bericht über das 4. Radiosymposium am 13. November könnte der Eindruck entstehen, dass es sich beim Thema «Medienhypes», über das zwischen den kritisierenden Wissenschaftlern und den Medienpraktikern offensichtlich Uneinigkeit herrschte, um nichts als eine kurzlebige Dampfblase handle. Das Gegenteil ist richtig: Der Befund, dass die Medienwelt angesichts eines allgemein aufregenden und emotional aufwühlenden Vorgangs heute häufiger zu lemminghaftem Verhalten neigt, ist zweifellos richtig. Der «Fall Seebach» ist ein musterhaftes Beispiel für die Tendenz des Systems zur freiwilligen Gleichschaltung. Ich halte es deshalb für wichtig, die argumentativen Einzelteile, die im Lauf des Symposiums dazu geäussert wurden, etwas vom Ballast beiläufigen Blablas zu befreien. Als Voraussetzungen für Hypes wurde mehrfach die Konsum- und Einschaltquoten-Orientierung der Medien-Unternehmen genannt. Verleger aller politischen Couleur definierten sich und ihre Unternehmen früher als Teil des demokratischen Service public. Die Privilegierung der Presse bei der Posttarifen zeigt, wie sehr dieses Selbstbild allgemein akzeptiert war. Und wie die Verleger verhielten sich auch ihre Angestellten, die Medienschaffenden. Sie reklamierten, mit einer Mischung aus Berufsstolz und Arroganz, die publikums-affine Deutungshoheit über den Lauf der Dinge für sich. In ihrem vielstimmigen, von keinem Dirigenten gestörten Meinungskonzert war, ihrer Ansicht nach, immer die ganze Wahrheit enthalten. Es ist logisch, dass der Wandel der Verlagshäuser zu – oft von branchenfernen, bonus-verwöhnten Managern geleitet – «gewöhnlichen» Unternehmen auch das Selbstverständnis der Medienschaffenden veränderte. Heute kann man einen Journalisten-Job zweifellos auch ohne feu sacré gut machen. Wo aber, wie leider oft, der früher selbstverständliche dicke Rucksack an Allgemeinbildung durch flott-forsche Oberflächlichkeit kompensiert wird, fehlen das Selbstbewusstsein und der Mut, sich auch ausserhalb des Mainstreams wohl zu fühlen. Was wir sehen, sind kommunizierende Röhren: Der wirtschaftliche Umbau des Mediensystems zieht einen Wandel des journalistischen Berufsbilds (und damit des journalistischen Selbstverständnisses) nach sich. Was tun? Die Konsumorientierung der Medienwirtschaft ist gesellschaftlich offensichtlich akzeptiert. Das heisst aber nicht, dass deswegen grundsätzlich kein guter, hochprofessioneller Journalismus möglich wäre. «Man muss es nur wagen», wie SRDRS-Chefredaktor Ruedi Matter richtig sagte. Die SRG-Unternehmen, die im Bereich der Information als Leitmedien unbestritten sind, haben es in Ausbildung und Redaktionskultur in der Hand, etwas zu tun. Noch mehr müsste man von Universitäten und Fachhochschulen verlangen, die den Studierenden das systematische kritische und selbstkritische Denken einpflanzen sollten. Ursula Pia Jauchs Lamento im Ohr, sind Zweifel angebracht, ob dies noch geschieht (oder – im credit-points-getriebenen Studium – überhaupt geschehen kann).

Es war Kurt Imhofs Handicap, dass es nicht gelang, dem Symposium eine kohärente Definition des Hypes vorzulegen. Die Schnittmenge der Beispiele – Seebach. Rütli, Waldsterben, Paris Hilton – war zu klein; die Belege, dass da ein übergreifendes Phänomen beobachtet wurde, waren dürftig. Gewiss: Der Ansatz ist anregend, aber eben nur als Ansatz, als Arbeitshypothese. Verstörend wirkte zudem die Beweisführung mit Hilfe von simplen (wenn auch sicher aufwändigen) quantitativen Inhaltsanalysen. Die vermögen vielleicht, die Teilnehmer eines kultursoziologischen Seminars vom Hocker zu reissen, aber altgediente Medienpraktiker können sie nicht überzeugen. Ohne eine sorgfältige qualitative Analyse, die auch – ich denke an das Waldsterben – den historischen Verlauf der Ereignisse berücksichtigt, kann nur Oberflächliches resultieren. Was ausserdem fehlte, war die Einbettung der medialen Phänomene in die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt. Redaktionen arbeiten nicht in Raumkapseln ohne Verbindung zur realen Welt, in der lieber fern gesehen als gelesen, lieber DJ Bobo als Charlie Parker gehört, lieber bei McDonalds als in der Eckkneipe gegessen wird. Selbstverständlich würde die Berücksichtigung all dessen
«zu weit führen». Selbstverständlich! Aber diese Lücken müssten sich doch in der Formulierung von Forschungsergebnissen niederschlagen. Das Sammeln von Äpfeln, Birnen und Blutorangen im gleichen Korb, müsste begründet werden. Leider geschah das bisher nicht. Ja, Hypes sind ein reales Problem der aktuellen Medien-Wirklichkeit. Der «Fall Seebach» ist dafür ein gültiges Lehr-Stück. Aber die übrigen Beispiele passen (noch) nicht ins Puzzle.

Und noch etwas Grundsätzliches: Wo beginnt die Gleichschaltung überhaupt? Ab wann wird der «politisch-publizistische Konflikt», den Kurt Imhof als konstituierende Konstante der Demokratie definiert, ausgeschaltet? Soll es Tabuzonen geben? Einen von allen Medienschaffenden respektierten Grundbestand von allgemein anerkannten Werten? Als jemand von Kurt Imhof wissen wollte, ob er glaube, die Rassismus-Strafnorm schränke die Medienfreiheit ein, verneinte er – aber auf ungeschickt zweideutige Art. Weniger verfänglich gefragt: Wie würde er antworten, wenn sich ein Konflikt um eindeutig antiaufklärerische Inhalte drehte? Haben zum Beispiel Kreationisten, wie sie selbst glauben, Anspruch auf Medienpräsenz?