Museum Tinguely: Die Sammlung

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Das Museum Tinguely in Basel präsentiert vom 8. Februar 2023 bis zum Frühjahr 2025 den Grossteil seiner Sammlung in ihrer ganzen Pracht und erfinderischen Vielfalt unter dem Titel «La roue = c’est tout» («Das Rad ist alles») als Dauerausstellung. Kuratiert von Direktor Roland Wetzel, assistiert von Tabea Panizzi, führt der Parcours durch vier Jahrzehnte von Jean Tinguelys (1925-1991) künstlerischem Schaffen – von seinen Anfängen zu Beginn der 1950er-Jahre, als er den Kunstbetrieb mit filigranen Drahtplastiken und feinen motorisierten Reliefs (im Wortsinn) in Bewegung setzte, bis zu den monumentalen Maschinen der späteren Schaffensperioden. Den Auftakt zum Rundgang bildet das witzige, vor kurzem erworbene Bühnenbild zum Ballett «Eloge de la Folie» des Pariser Choreografen Roland Petit aus dem Jahr 1966. Das Werk ist beispielhaft für den Erfindungsreichtum des Künstlers, seine Offenheit zur Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen sowie seine Überzeugung, dass gute Kunst nur entsteht, wenn das Publikum einbezogen wird. Auf die kleinformatigen Arbeiten seiner frühen Jahre – die als Echo auf seine Ausbildung zum und seine Tätigkeit als Schaufensterdekorateur interpretiert werden darf – folgen die innovativen Schrott-Skulpturen der 1960er-Jahre. Die Maschinen werden in dieser Zeit erstmals richtig gross – man denke an «Heureka» für die Schweizerische Landesausstellung 1964 in Lausanne – und entfalten ihre Wirkung im
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öffentlichen Raum. Im neu eingebauten Obergeschoss ist die melancholische Seite von Tinguelys Kunst zu sehen – Erinnerungsstücke an zu Tode gekommene Autorennfahrer-Freunde, seine Faszination für die Basler Fasnacht. Es ist eine sehr gute Idee, dabei auch an den Einfluss zu erinnern, den seine erste Frau, Eva Aeppli (1925-2015), auf seine künstlerische Entwicklung hatte. Sie ist mit ihren grauen, ausgemergelten «Fünf Witwen» und mit ihren «Zehn Planeten» präsent, die zum Sammlungsbestand des Museums gehören. Zurück im Erdgeschoss werden – als eigentliches Herzstück der Ausstellung – in einer Reihe von Kabinett-Präsentationen die verschiedenen Facetten von Tinguelys Werk dokumentiert. Zeichnungen, Fotos und insgesamt 20 Stunden Film belegen die einzigartige künstlerische Zeitgenossenschaft Tinguelys. Es ist klar, dass die Fülle des Materials in den Kabinetten, das durch eine multimedial gestalteten Biografie an einer Wand der grossen Ausstellungshalle ergänzt wird, kaum bei einem einzigen Ausstellungsbesuch zu bewältigen ist. Die lange Dauer der Sammlungspräsentation schafft die Möglichkeit, immer wieder Neues zu entdecken. Da die Maschinenskulpturen aus konservatorischen Gründen nur in Abständen eingeschaltet werden können, hält das Museum Videos der Installationen bereit, sodass sie ohne Wartezeit über einen QR-Code auf dem Smartphone betrachtet werden können. Wenn es für eine Ausstellung einen bis fünf Sterne zu vergeben gäbe, verdiente diese Sammlungspräsentation ohne Zweifel fünf davon: Sie schöpft aus einem weltweit einmalig reichen, beispielhaft dokumentierten Sammlungsbestand, sie ist kenntnisreich und sorgfältig multimedial inszeniert, und sie lädt zu mehr als einem Besuch und immer neuen Entdeckungen ein.
Illustrationen: Jean Tinguely bei Materialsuche, Paris 1960 (Ausschnitt, Fotograf unbekannt); Jean Tinguely «Èloge de la Folie», 1966 (© Museum Tinguely, Basel, Foto: Daniel Spehr, Ausschnitt)