Roger Ballen im Museum Tinguely: Der Ruf der Leere

5_MT_Roger Ballen_Marguerite Rossouw_email
Das Museum Tinguely zeigt im Vorraum zu Jean Tinguelys ikonischer Skulpturengruppe «Mengele-Totentanz» im Zyklus «Danse macabre» vom 19. April bis 29. Oktober 2023 unter dem Titel «Call of the Void» als achten Teil Arbeiten des Fotografen Roger Ballen. 1950 in New York geboren und seit Jahrzehnten in Südafrika lebend und arbeitend, erregte der promovierte Geologe Ballen vor 30 Jahren mit Bildern von Dörfern und Menschen in seiner Wahlheimat öffentliches Aufsehen. Sein Interesse galt in dieser Zeit dem Hässlichen, Verstörenden der porträtierten Menschen, die oft dem burischen (weissen) Prekariat weitab der Städte angehörten. Später vertiefte er die irritierende Wirkung seiner Bilder, indem er in seinem Johannesburger Studio, das er sich in einer einfachen Hütte eingerichtet hatte, Tiere – Ratten, Vögel – in eigens gebauten Installationen ablichtete.
7_MT_Roger Ballen_Felix Scharff_email
Die schwarz-weissen Fotografien wirken – so der Kurator Andres Pardey – wie Spaziergänge ins Unterbewusste: dunkel, geheimnisvoll, durchaus auch beängstigend oder beunruhigend. Ballen entwickelte im Lauf der Zeit einen eigenen Stil, den er «ballenesque» nennt. Wie sich bei einem Rundgang mit dem Künstler zeigte, ist auch er nicht in der Lage, in wenige Worte zu fassen, was damit gemeint ist. Ein wichtiges Element, sagte er, sei die Absurdität, die sich beim Betrachten der Werke, wie im Titel der Ausstellung «Call of the Void» als «Leere» herausstelle. In der aktuellen Ausstellung steht eine Hütte im Zentrum des Raums. Sie ist innen und aussen im Stil der Art Brut bemalt und begehbar, sodass das Publikum einen Eindruck von dem gewinnen kann, was mit «ballenesque» gemeint ist. Die Behausung wird bewohnt
14_MT_Roger Ballen_Marguerite Rossouw_email
von elenden Puppen: Eine der Lumpengestalten liegt in einem Abfallkübel ohne Boden und stöhnt. Andere haben den Geist schon aufgegeben, darunter eine Figur, aus deren offenem Brustkorb Drähte heraushängen, die die mit einem alten Staubsauger verbunden sind. Die Hauptrolle in der Schau spielen aber die rundum angeordneten Fotografien, schwarz-weiss und analog aufgenommen. Der Künstler präsentiert Beispiele aus der Serie «Roger’s Rats», in denen Ratten im Mittelpunkt stehen. Sie sind Bildern aus der Reihe «Asylum of the Birds» («Asyl der Vögel») gegenüber gestellt. «Ratten und Vögel», kommentiert Roger Ballen, symbolisierten «im Laufe der Menschheitsgeschichte Gut und Böse, Dunkelheit und Licht. Vögel verbinden den Himmel mit der Erde, und Ratten werden zu Unrecht mit Schmutz, Krankheit und Dunkelheit in Verbindung gebracht.
2_MT_Roger Ballen_Mouth to Mouth_high
Jede Tierart bringt ihre eigene Mythologie mit sich, und wenn man diese in eine Fotografie einfliessen lässt, bietet sie unbegrenzte Möglichkeiten, tiefere Bedeutungen zu schaffen, die für die menschliche Existenz relevant sind.» Roger Ballens Fotos, die – nicht nur wegen der lebenden Tiere, die in der sorgfältig gestalteten Kulisse tun, was sie wollen – in einem zeitaufwendigen Prozess entstehen, beeindrucken durch ihre komplexe und suggestive Wirkung. Es lohnt sich, mehrmals genau hinzuschauen und sich «ballenesque» vereinnahmen zu lassen! Zur weiteren Illustration gibt es noch zwei Filme zu sehen, einer gleich links neben der Treppe, die zur Ausstellung führt, und der andere, längere im 1. Untergeschoss in einer winzigen, einplätzigen Kabine gleich vor dem Eingang zum Bistro. Der Film steht – neben anderen – auch auf youtube.com zur Verfügung.

Anlässlich der Ausstellung «Roger Ballen. Call of the Void» erscheint im Kehrer Verlag, Heidelberg, eine englische Publikation mit Texten von Roger Ballen, Andres Pardey und einem Vorwort von Roland Wetzel. Die Publikation ist ab 13. Juni im Museumsshop für 35 CHF erhältlich.
Illustrationen: Porträt Roger Ballen (Ausschnitt) Foto Marguerite Rossouw, © coutesy Marguerite Rossouw). Installationsansicht in der Ausstellung «Call of the Void» im Tinguely Museum, Basel 2023 (©courtesy Roger Ballen 2023 Museum Tinguely, Basel; Foto: Felix Scharff). Installationsansicht in der Ausstellung «Call of the Void», ©courtesy Roger Ballen 2023 Museum Tinguely, Basel; Foto: Marguerite Roussouw. Roger Ballen: «Mouth to Mouth», 2013 ©courtesy Roger Ballen.