Merci Seppi: Die grosse Schenkung im Museum Tinguely

Seppi Imhof, Plakate
Josef («Seppi») Imhof, Jean Tinguelys kongenialer Handwerker-Assistent während 20 Jahren, hat ein grosses Geschenk gemacht. Rund 450 Dokumente – Briefe, Postkarten, Baupläne, Skizzen, Plakate und Drucke – aus den Jahren 1971 bis 1991 aus seiner mit grosser Sorgfalt gepflegten Sammlung gehen in den Besitz des Museums Tinguly über. Sie ergänzen dessen Archiv in «substanzieller Weise» auf nunmehr über 2000 Nummern, freute sich Museumsdirektor Roland Wetzel bei der Präsentation der von Andres Pardey arrangierten Ausstellung, welche die «grosse Schenkung» unter dem Titel «Merci Seppi» vom 17. November 2021 bis zum 13. März der Öffentlichkeit zugänglich macht. Da Jean Tinguely praktisch keine Aufzeichnungen über seine Arbeiten machte, aber unermüdlich zeichnete, skizzierte und per Brief oder Postkarten mit Freunden,Bekannten und Mitarbeitenden kommunizierte, sind Imhofs Dokumente für die gesamte Tinguely-Forschung von unschätzbarem Wert. Wer sich die Zeit nimmt, die in Vitrinen und Rahmen dicht an dicht inszenierten Exponate en détail zu betrachten, darf sich auf zahlreiche Déjà-vus freuen und auch viel Neues entdecken. Von den zahlreichen grossen Projekten der 1970er- und 1980er-Jahre, an denen Seppi Imhof mitarbeitete, sind die wichtigsten – «Le Cyclop» im Forêt de Milly in Fotainebleau, die Gemeinschaftsarbeit «Crocodrome de Zig et Puce», Nike de Saint-Phalles «Giardino dei Tarocchi» in der Toscana, «Chaos No. 1» in Columbus, Indiana, oder
Konstruktion Klamauk klein
die fahrbare «Klamauk»-Skulptur – in der Ausstellung prominent präsent. Die meisten Dokumente sind ohne weiteres Erläuterungen verständlich, wobei es sicher von Vorteil ist, wenn man Tinguelys Werk und seine Höhepunkte ein wenig kennt. In der Schweiz wurde Jean Tinguely (1925-1991) erst 1964 einem breiten Publikum bekannt, als an der Landesausstellung in Lausanne seine riesige Leerlauf-Maschine «Heureka» landesweit für Aufsehen sorgte. Das heisst: Als Tinguely 1970 ein Inserat aufgab, mit dem er einen Assistenten suchte, war er bereits ein arrivierter Künstler. Nach einem Treffen im Bahnhofbuffet Fribourg wurden sich der Künstler und der Bewerber, ein 27-jähriger gelernter Schlosser aus Solothurn, einig. Doch wenig später, am 27. Juli 1970, disponierte Tinguely um. «Lieber Herr Imhof», ist in dem Schreiben nachzulesen, «Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass das ganze Projekt auf nächstes Jahr verschoben ist (aufgehoben ist es nicht.) & ich bitte Sie nun mir auf nächstes Jahr ihre Bereitschaft mitzumachen aufzubewahren.» Imhof hatte Geduld und erhielt am 20. März 1971 einen Anstellungsbrief, in dem ihm bestätigt wurde, dass er «ab Erste Mai 1971 (von mir bezahlt) bei mir arbeiten werden. Lohn 1200.- S.Fr. Logie & Speise & Reise Spesen zu meinen Lasten. Kündigungsfrist 2 Wochen.» Wie wir wissen, wurden zwanzig Jahre daraus. In den ersten Jahren stand die vom Frühsommer bis in den Herbst die Arbeit am monumentalen Gemeinschaftswerk «Cyclop» im Vordergrund. Was dazu führte, dass Tinguely während der kühleren Jahreszeiten, zusammen mit seinem Assistenten, die Welt mit einem veritablen Ausstellungs-Wanderzirkus bereiste. Da die fragilen Maschinen bei Dauerbetrieb regelmässig instand gestellt werden mussten, blieben die beiden Männer jeweils während der ganzen Dauer der Ausstellungen vor Ort. Während der langen Zeit, beteuert Seppi Imhof, habe es nie Krach gegeben. Die beiden ungleichen Persönlichkeiten – der von immer neuen Ideen getriebene hektisch aktive Künstler Tinguely und der bedächtige Handwerker Imhof – wurden Freunde, ohne dass sie ihre Rollen je in Frage stellten. Tinguely war der Chef, der sich jederzeit darauf verlassen konnte, dass sein Assistent die Vorgaben exakt umsetzte. Wenn er sich einen Lichterbogen mit 15 Glühbirnen vorstellte, mussten dort auch 15 Birnen leuchten und nicht 14, wie sich Seppi Imhof bei der Präsentation seiner Sammlung vor einer Konstruktionsskizze erinnerte.
Dein Jeannot klein 1990
Er kramt gern in seinen Erinnerungen und erzählt lebendig von seinen Erlebnissen. Auch wenn er sich gegen die aufdringliche Fotografiererei mit einem mürrischen Gesichtsausdruck zu wehren versucht, glaubt man ihm, dass die lange und oft anstrengende Zusammenarbeit mit Jean Tinguely immer auch Spass gemacht hat. Und es ist sicher auch eine Genugtuung für ihn, dass seine Beiträge an den Erfolg des Künstlerfreundes auch nach dessen Tod angemessen gewürdigt wurden. Das Museum Tinguely, wo er bis zu seiner Pensionierung 2008 als Restaurator tätig war, ehrte ihn erstmals 1999 mit der Ausstellung «Sali Sepi - di Jeannot: Briefzeichnungen von Jean Tinguely an Joseph Imhof». Zu seiner Pensionierung 2008 erhielt er unter dem Titel «Tschau Sepp» carte blanche und zeigte eine Fülle von Memorabilien aus der Zeit mit Jean Tinguely. Und jetzt, zum dritten Auftritt «Merci Seppi», ist die Dankbarkeit das Thema. Vielleicht findet das Museum einen Weg, den riesigen Fundus an ungegenständlichen Erinnerungen, die Sepp Imhof in seinem Gedächtnis bewahrt hat, festzuhalten. Sie sind von ebenso unschätzbarem Wert wie die Dokumente – zumal fast alle von Tinguelys Künstlerfreundinnen und -freunden, welche die Kunstwelt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, nicht mehr am Leben sind. Fazit: Nicht nur für das Museumsarchiv, sondern auch für alle, die Jean Tinguelys Werk kennen und schätzen und für alle übrigen, die es erst richtig kennenlernen möchten, ist die wunderbare Ausstellung von Sepp Imhofs Erinnerungsstücken ein grosses Geschenk.

Illustrationen: Donator Seppi Imhof präsentiert seine Ausstellung (© Jürg Bürgi, Basel, 2021); Jean Tinguely. Klamauk – Erinnerungen 1979 (Museum Tinguely, Basel. Schenkung Josef Imhof; ©2021 Pro Litteris, Zürich; Museum Tinguely Basel. Jean Tinguely: Charlotte OK, 1990. (museum Tinguely, Basel, Schenkung Josef Imhof.©2021 Pro Litteris, Zürich; Museum Tinguely Basel.