Delphine Reist im Museum Tinguely

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Delpine Reist, 1970 in Sion geboren, präsentiert vom 18. Oktober 2023 bis 14 Januar 2024 im Museum Tinguely in Basel eine Übersicht über ihr künstlerisches Schaffen. Unter dem (etwas irreführenden) Titel «ÖL [oil, olio, huile]» zeigt die Künstlerin, die in Genf lebt, arbeitet und an der Haute Ecole d’Art et de Design (HEAD) unterrichtet, 20 Arbeiten, die sich um das Thema der Arbeit drehen. Öl als Triebkraft der Wirtschaft spielt dabei zwar eine wichtige Rolle, aber es ist nicht die bestimmende Dominante der Ausstellung, die von Sandra Beate Reimann mit Engagement kuratiert wurde. Wir haben uns beim Rundgang durch die Schau
Betoneimer
mehrfach unsicher gefühlt, ob wir Ähnliches nicht schon anderswo gesehen haben: In einander verschlungene Reifen. Maschinen, die plötzlich losgehen. Tröpfelnde Flüssigkeiten, die ihre Spuren hinterlassen. Gebrauchsgegenstände, die lebendig wirken. Aber spielt das eine Rolle? Delphine Reist nützt das ganze Arsenal technischer Möglichkeiten. Sie arrangiert zum Beispiel aus 40 liegenden Kunststoffeimern, deren Inhalt – grober Beton – ausgeleert und eingetrocknet ist eine ornamentale Installation. Sie inszeniert Bürostühle und ihre kreisrunden Spuren auf einem weissen Büroboden zu einem erstarrten Ballett. Sie macht aus einem Werkstattgestell mit Handwerkermaschinen, die unvermittelt in Aktion treten, ein lärmendes Raubtierhaus. Besonders symbolkräftig ist eine Videoinstallation: Sie zeigt eine verlassene Fabrikhalle, von deren Decke sich, eine nach der andern, die Neonröhren in die Tiefe stürzen und auf dem Betonboden zerschellen. Der Witz der im Museum Tinguely zum Genius loci gehört, Ist in den Werken der Westschweizerin ständig präsent. Das macht die Ausstellung der Werke von Delphine Reist, die das ganze Spektrum der künstlerischen Techniken beherrscht, sehenswert, auch wenn umwerfend Neues nicht zu sehen ist.

Illustrationen: Porträt Delphine Reist (Foto ©Jürg Bürgi, 2023); «La pente (das Gefälle), 2023 (Foto aus der Ausstellung © Jürg Bürgi)

Temitayo Ogunbiyi im Museum Tinguely

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Seit Mai 2023 gibt es im Solitudepark, unweit vom Eingang zum Museum Tinguely in Basel, eine Spiel-Skulptur aus merkwürdig unregelmässig geborgenen, mit Manilaseil umwickelten Stahlstangen. Die 1984 in den USA geborene und aufgewachsene Künstlerin und Kunsthistorikerin Temitayo Ogunbiyi, die seit zehn Jahren in Lagos (Nigeria) lebt und arbeitet, hat das Gerät eigens für diesen Ort entworfen. Vom 18. Oktober 2023 bis zum 14. Januar 2024 sind jetzt im Museum weitere Arbeiten zu sehen. Auffallend ist in der Ausstellung, die von Roland Wetzel kuratiert wurde, wie sehr die Amerikanerin auf die Umgebung eingeht, in der sie arbeitet. Sie reflektiert das für sie Ungewohnte, indem sie zum Beispiel die Angebote von Supermärkten, die Speisekarten von Gaststätten oder die Möblierung von Wohnungen erforscht. Es ist offensichtlich, dass sie sich als Brückenbauerin zwischen Kulturen sieht – in diesem Fall zwischen der nigerianischen ihres Wohn- und Arbeitsortes Lagos und der von Basel.
Wickelfisch
Den Auftakt der Schau im Untergeschoss des Museums bildet ein improvisiertes Ladenregal mit Produkten aus zahlreichen fremden Ländern. Sie symbolisieren die Vielfalt der hiesigen multikulturellen Bevölkerung. Für Rheinschwimmerinnen und Rheinschwimmer entwarf die Künstlerin für das Museum, das über einen eigenen Strand verfügt, einen Wickelfisch in ihrer Lieblingsfarbe Orange. Eine Sammlung aus Brockenhaus-Möbeln mit vielen Schubladen, deren Inhalt vom Publikum erkundet werden soll, sind mit zahlreichen Zeichnungen und Texten bestückt. Darunter ist auch ein neu kreiertes Rezept für ein Freiburger Fondue moitié-moitié. Statt dem gewohnten trockenen Weisswein wird der Käse nach der Vorgabe Ogunbiyis im Agbalumo- oder im Mango-Wein aufgelöst. Als Ersatz für die hierzulande sparsam verwendete Mais- oder Kartoffelstärke als Bindemittel sieht die Künstlerin einen Suppenlöffel Cassava-Mehl vor, und statt Kirsch schlägt sie einen Suppenlöffel des in Nigeria «Ogogoro» genannten Palmwein-Schnapses vor. Gewürzt wird mit Alligator-Pfeffer und Muskatnuss. Exotisch ist auch die Bestückung der Fonduegabeln mit Stücken halbreifer Papaya, englischen Birnen, Meeresfrüchte oder Bananenchips. Für die Ausstellung erfand Temitayo Ogunbiy auch ein eigenes Musikinstrument: An einem Gestell mit einer langen geborgenen Stange hängen zahlreiche einfache Küchengeräte – Kellen, Kochlöffel, Salatbesteck aus Holz und Metall –
Instrument
aber auch zwei hölzerne Wetzsteinfässer, die von Perkussionisten zum Klingen gebracht werden können. Die Installation daneben besteht aus gebogenen Stäben aus Stahl, Mesing und Bronze, welche Wanderwege zwischen Basel und anderen europäischen Städten nachzeichnen, wie der Saaltext erläutert. Den im Vordergrund platzierten Sitzelemente diente eine Wok-Pfanne als Gussform. Die Ausstellung, die auch zahlreiche Zeichnungen und Gemälde von Früchten und anderen botanischen Elementen präsentiert, führt im letzten Stück die Faszination der Künstlerin für gemeinschaftsbildende Funktion von Spielplätzen und ihrer Liebe zur Natur zusammen: Unter dem Titel «You will follow the Rhein and compose play» ist eine auf Spielplätzen häufig installierte Fallschutzmatte mit einer Kakaofrucht.

P.S. «Agbalumo» heisst in der Sprache der Yoruba eine afrikanische apfelförmige Frucht (Gambeya albida), der mannigfaltige Heilkräfte zugesprochen werden. Wie daraus Wein wird, ist uns nicht bekannt. Hingegen gibt es im Internet Rezepte für Mango-Wein (
https://fruchtweinkeller.de/rezepte/mangowein/).

Illustrationen von oben nach unten: Temitayo Ogunbiyi vor ihrer Installation «You will follow the Rhein and compose play» im Solitude Park, 2023. © Museum Tinguely, Foto: Matthias Willi; «Healing Verb», 2023. © Courtesy of the artist. Foto aus der Ausstellung © Jürg Bürgi. «You will follow the Rhein and compose play (instrument), 2023. Foto aus der Ausstellung © Jürg Bürgi.